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Aktuelle Lage der Hochschulen: Status quo, Nöte und Perspektiven an Uni und FH

Die SN sprachen für das "Journal Hochschule" mit den Vertreter:innender beiden größten Sektoren - Universitäten und Fachhochschulen - über ihre aktuelle Situation, Herausforderungen und Erwartungen in Richtung Politik. Interviews mit Ulrike Prommer, Präsidentin der Fachhochschulkonferenz (FHK) und Oliver Vitouch, geschäftsführender Präsident der Universitätenkonferenz (uniko).

Der Campus Urstein der Fachhochschule Salzburg, interpretiert von Artsmart.ai.
Der Campus Urstein der Fachhochschule Salzburg, interpretiert von Artsmart.ai.
Das Gebäude der Universität Salzburg am Rudolfskai – interpretiert von Artsmart.ai.
Das Gebäude der Universität Salzburg am Rudolfskai – interpretiert von Artsmart.ai.

Ulrike Prommer: "Die Politik ist in Österreich sehr unilastig"

"Wir leisten einen außerordentlichen Beitrag für den Standort Österreich."
Ulrike Prommer
Präsidentin Fachhochschulkonferenz


Wie hat sich Ihr Hochschulsektor in den vergangenen Jahren aus Ihrer Sicht entwickelt, und wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?
Ulrike Prommer: Wir sind sehr stolz, dass sich unser Hochschulsektor so erfolgreich entwickelt hat. Wir stehen mittlerweile bei rund 60.000 Studierenden und 240.000 Absolvent:innen. Im Bereich der technik- und ingenieurwissenschaftlichen Studien sind 42 Prozent der Abschlüsse an Fachhochschulen und im Bereich der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Studien bereits über 54 Prozent der Studienabschlüsse an Fachhochschulen. Die Absolvent:innen sind erfolgreich in der Arbeitswelt nachgefragt und integriert.

Auch in der Forschung zeigen die Fachhochschulen mit Erfolgskennzahlen an Publikationen und angewandten Forschungsprojekten in den wichtigsten und nachgefragten Forschungsthemen erfolgreich auf. Dies zeigt sich zum Beispiel bei den erfolgreichen Starts der Josef-Ressel- Zentren in den letzten Wochen in Innsbruck oder Steyr.

Die Fachhochschulen haben sich auch sehr stark weiterentwickelt. Von sehr stark studienbezogenen Einheiten haben wir uns hin zu gesamthaften Hochschulen entwickelt, die neben ihren Kernaufgaben Lehre und Forschung auch in der sogenannten Third Mission aktiv sind. Zudem zeigen Umfragen, dass wir sowohl in der Bevölkerung als auch in der Wirtschaft - also unter den Arbeitgeber:innen unserer Absolvent:innen - über ein ausgezeichnetes Image verfügen.

Mit welchen Herausforderungen kämpfen Sie heute im Sektor - und welche erwarten Sie in Zukunft? Man kann die Herausforderungen in drei Bereiche clustern: Erstens Ressourcen und Rahmenbedingungen. Zweitens zukunftsfähige Weiterentwicklung des FH-Sektors. Drittens gesellschaftliche Veränderungen.

Zum ersten Punkt: Wir brauchen - und das ist nach 30 Jahren und in unserer Größe des FH-Sektors opportun - eine nachhaltige Finanzierung. Das heißt eine laufend angepasste Indexierung der Fördersätze und die Finanzierung der zusätzlichen Aufgaben in Form von Sondermitteln. Die Forschungsfördertöpfe müssen ausreichend für die angewandte Forschung ausgestaltet bzw. erhöht werden. Nur durch eine nachhaltige und planbare Finanzierung sowie einen Abbau von Bürokratie und unnötigen Regulierungen - Stichwort Programmakkreditierung - können die Fachhochschulen den erfolgreichen Weg weiterführen.

Zum zweiten Punkt: Für eine zukunftsfähige Weiterentwicklung benötigen wir die Möglichkeit, akkreditierte Doktoratsprogramme anzubieten. Wir müssen für junge Wissenschafter:innen attraktiv sein und Karrieremöglichkeiten bieten. Wenn wir das nicht bieten können, gehen gute Forscher:innen verloren. Darüber hinaus können dadurch wichtige angewandte Forschungsbereiche nicht ausreichend beforscht werden. Das heißt, Fachhochschulen können ihr volles Potenzial in dem Bereich nicht ausschöpfen. Die Ergebnisse der FH-Forschung münden in Services und Produkte, die der Gesellschaft zugutekommen. Somit gereicht das Fehlen von Doktoratsprogrammen der Gesellschaft zum Nachteil.

Zum dritten Punkt, den gesellschaftlichen Veränderungen: Der Bildungsmarkt ist sehr dynamisch und im Umschwung. Wir sehen, dass sich die inhaltlichen Anforderungen an ein Studium aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen und der Nachfrage von Industrie und Wirtschaft immer rascher verändern. Die Fachhochschulen müssen hier rasch reagieren und die Studieninhalte anpassen können. Ebenso gibt es derzeit ein großes Bildungsangebot durch viele neue ausländische Bildungsanbieter, die nicht im selben Umfang akkreditiert und qualitätsgesichert sind. Das führt bei Studienanfänger:innen zu Unsicherheiten bei der Studienwahl. Es fällt auch auf, dass die Schule nicht immer optimal auf ein Studium vorbereitet. Grundkompetenzen in Deutsch, Mathematik und Englisch haben sich bei den Studienanfänger:innen in den letzten Jahren verschlechtert. Dadurch werden Tutorien, Brückenkurse usw. immer notwendiger, um den Einstieg ins Studium unterstützen und den Studienfortschritt sicherstellen zu können.

Wie nimmt sich die Politik - auf Landes- wie auf Bundesebene - Ihrer Nöte und Wünsche an? Welche Rolle spielt die europäische Ebene? Fachhochschulen sind regional verankert und in allen neun Bundesländern tätig. Dadurch sind sie wichtige Plattformen für Wissenschaft und Wirtschaft in den Regionen. Sie werden durch die Bundesländer auf unterschiedlicher Weise gefördert und unterstützt - diese haben ihren hohen Wert erkannt. Auf Bundesebene sind im FH-Entwicklungs- und -Finanzierungsplan die Rahmenbedingungen niedergeschrieben und werden alle drei Jahre neu aufgelegt. Es gibt jedoch kein Gremium, das die gesamte Breite des FH-Sektors - Lehre und Forschung - umfasst, reflektiert, diskutiert und weiterentwickelt. Die angewandte Forschung hat auf europäischer Ebene einen höheren Stellenwert als in Österreich. Die Fachhochschulkonferenz (FHK) ist im Netzwerk UAS4EUROPE stark mit anderen europäischen Partnern vernetzt und so können wir auch die Unterschiede gut beobachten. In Österreich liegt der Fokus stark auf der Grundlagenforschung, die Fachhochschulen betreiben angewandte Forschung. Dafür bekommen sie vom Bund im Gegensatz zu den Unis keine Grundfinanzierung. Dies stellt auch einen Wettbewerbsnachteil dar, denn dadurch muss man sich von Projektfinanzierung zu Projektfinanzierung durchkämpfen und kann den Wissenschafter:innen oft keine Perspektiven bieten.

Was erwarten Sie bzw. wünschen Sie sich von der Politik in der nächsten Zeit? Leider ist immer wieder augenscheinlich, dass die Wissenschaftspolitik auf Bundesebene eine sehr einseitige, unilastige ist. Die große Bedeutung der Fachhochschulen für Wissenschaft und Wirtschaft in Österreich wird oft nicht erkannt, nicht genutzt und nicht aktiv weiterentwickelt. Wir wünschen uns, dass wir gemeinsam mit der Politik die drei skizzierten Herausforderungen diskutieren und Lösungen erarbeitet werden. Wir erwarten uns stärkere Berücksichtigung, immerhin leisten wir einen außerordentlichen Beitrag für den Standort Österreich.

Oliver Vitouch: "Es herrscht echte Aufbruchstimmung"

"Die Bundespolitik hat den Stellenwert der Universitäten erfreulicherweise erkannt"
Oliver Vitouch
geschäftsführender Präsident Universitätenkonferenz


Wie hat sich der Hochschulsektor in den vergangenen Jahren aus Ihrer Sicht entwickelt, und wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?
Oliver Vitouch: Aktuell herrscht echte Aufbruchstimmung: Zwei aufeinanderfolgende "österreichische" Nobelpreise an Anton Zeilinger und Ferenc Krausz, das beflügelt ungemein. Auch die Erfolgsbilanz bei den "ERC Starting Grants" (European Research Council, Anm.) ist mit 19 Preisen hervorragend. Und es ist evident, wie sehr wir gebraucht werden: Die Studierenden werden uns förmlich aus der Hand gerissen, überall geht Schlüsselpersonal aus, das systematisch von den Universitäten hervorgebracht wird. Zukunftsthemen sind äußerst präsent: vom Vormarsch der künstlichen Intelligenz bis zur Verwirklichung der Sustainable Development Goals.

Mit welchen Herausforderungen kämpfen Sie heute an den Universitäten - und welche erwarten Sie in Zukunft?
Manche Herausforderungen bleiben seit Jahrhunderten die gleichen: Wissenschaftsskepsis abbauen, Forschergeist fördern. Das hat schon Maria Theresia und van Swieten beschäftigt. Die Universitäten sind gefordert, die Gesellschaft bei der Bewältigung drastischer Gefahren zu unterstützen, Stichwort Klimakatastrophe. Zugleich ist es unsere Aufgabe, rasante technologische Entwicklungen zu begleiten und zu helfen, hier den Überblick zu bewahren. Schließlich geht es auch darum, Österreichs Wettbewerbsfähigkeit zu stärken: Forschung wird, zusammen mit der Verfügbarkeit hoch qualifizierter Arbeitskräfte, zum wichtigsten Standortfaktor. Beim 650-Jahr-Jubiläum der Universität Wien brachte es der damalige Cambridge-Rektor, Leszek Borysiewicz, auf den Punkt: "Wir dienen der Gesellschaft, indem wir lernen, lehren und forschen auf allerhöchstem Niveau."

Herausfordernd ist die demografische Entwicklung der Studierendenzahlen, verbunden mit wachsender Diversität und Internationalisierung. Die Universität Klagenfurt hat gerade einen globalen Studierendenzufriedenheits-Preis für Student Diversity gewonnen. Dabei spielen neue studentische Lebensrealitäten und neue Arbeitswelten eine große Rolle. Und natürlich plagen viele unserer Studierenden existenzielle Probleme, von der Teuerung bis zum leistbaren Wohnen.

Globale Herausforderung ist es, weiterhin die besten Köpfe für die Universitäten zu gewinnen, zumal im Technologiebereich. Das ist auch ein Finanzierungsthema. Wir alle wollen, dass Schlüsselkräfte an unabhängigen Universitäten studieren, nicht an einer künftigen Google University oder einem Elon Musk College. Bedrohlich ist der Anstieg kriegerischer Auseinandersetzungen und Terrorakte, von der Ukraine bis Israel. Steven Pinker zeigt in "The Better Angels of Our Nature", dass Gewalt historisch und global betrachtet stark rückläufig ist, aber aktuell steigt sie wieder. Universitäten sind dem besseren Selbst, der Lösung von Spannungen und dem friedlichen Miteinander verpflichtet, auch im Hinblick auf den gerade wieder aufflackernden Antisemitismus.

Wie nimmt sich die Politik - auf Landes- wie auf Bundesebene - Ihrer Nöte und Wünsche an? Welche Rolle spielt die europäische Ebene?
Für die Universitäten ist primär die Bundespolitik maßgeblich. Sie hat mit insgesamt 16 Milliarden Euro für die Jahre 2025 bis 2027 erfreulicherweise gezeigt, dass sie den Stellenwert der Universitäten erkannt hat. Die EU ist eine wichtige Quelle der Finanzierung von Spitzenforschung. Dort fällt auf, dass thematische Ausschreibungen zunehmen. Klement Tockner, vormaliger FWF-Präsident, meinte, der Anteil freier Forschungs-Calls sei ein Gradmesser für Demokratie. Hier gilt es die Balance zu wahren. Europa schafft vor allem auch ein gemeinsames Lern- und Forschungsklima, Stichwort Erasmus+: Studierende leben die europäische Identität wie keine andere Bevölkerungsgruppe.

Bei den Bundesländern liegen das Schöne und das Schreckliche nahe beisammen. Jene, die sich stark für "ihre" Unis engagieren, wollen dann gleich Strategie vorgeben. Ein politisches Versäumnis zeigt sich in mittlerweile 76 hochschulförmigen Institutionen in Österreich - da sind die Außeruniversitären, von Institute of Science and Technology Austria (ISTA) und Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) bis Austrian Institute of Technology (AIT) und Joanneum Research, noch gar nicht mitgezählt. Das führt zu einem "spreading thin" der Mittel und ist kein nachhaltiger Hochschulplan. Statt sich dem seriös zu widmen, hat man auf Linzer Drängen mit dem Institute of Digital Sciences Austria (IDSA) eine weitere Institution gegründet. Das wird sich, um es auf Österreichisch zu sagen, budgetär auf Dauer nicht ausgehen.

Was erwarten Sie bzw. wünschen Sie sich von der Politik in der nächsten Zeit?
Politik, Parlament und Ministerien sollten sich institutionalisiert wissenschaftlich beraten lassen. Um mehr Wissenschaft in die Medien und den öffentlichen Diskurs zu bringen, sollte ein Science Media Center - eine öffentlich zugängliche Wissenschaftsdatenbank - nach internationalem Vorbild geschaffen werden. Langfristiges Ziel ist es, zu einem Selbstverständnis als "Wissenschaftsnation Österreich" zu gelangen. Ursula Plassnik hat das am Nationalfeiertag so formuliert: "[Die Wissenschaft] bestimmt die Standortqualität von morgen. Für Österreich und die EU. Die Pflege unseres Erbes allein kann ja nicht das Ziel sein. Wir müssen mit den weltweit besten Köpfen an der Lösung der Zukunftsprobleme arbeiten. Daher die Bedeutung der Grundlagenforschung, an den Unis und außerhalb […] Da stehen wir voll im globalen Wettbewerb." Freilich ist es von der Skination zur Forschungsnation noch ein weiter Weg der Bewusstseinsbildung. Aber auch zur Kulturnation Österreich haben die humanities und die Kunst- und Musikuniversitäten eine Menge beizutragen.

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