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Hat das Einfamilienhaus noch eine Zukunft?

Der Bauboom ist zu Ende. Immer wieder ist auch die Rede vom Ende des Einfamilienhauses. Die Zukunftsforscherin Christiane Varga erläutert, was sich beim Wohnen alles ändern könnte.

Für Zukunftsforscherin Christiane Varga brauchen wir mehr Fantasie beim Wohnen.
Für Zukunftsforscherin Christiane Varga brauchen wir mehr Fantasie beim Wohnen.

Andere Formen des Zusammenlebens, der Kommunikation und des Arbeitens prägen unseren Alltag ebenso wie der Klimawandel, die Kriege vor unserer Haustür und die Inflation. All das habe auch unmittelbare Auswirkungen darauf, wie wir wohnen, sagt Christiane Varga. Die Wiener Soziologin beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Wandel von Gesellschaft und Lebensräumen und unterrichtet "Design Research" am Institut für Industrial Design der Fachhochschule Joanneum in Graz.

Einfamilienhäuser verbrauchen zu viel Fläche, zu viel Heizenergie und zu viele Rohstoffe. Ist der Lebenstraum vieler Menschen noch realistisch? Christiane Varga: Dass die Steigerungslogik "Immer höher, schneller, weiter, mehr" auf Dauer nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand. Das Ende des Familienhauses muss das aber nicht bedeuten. Vom gesellschaftlichen Wandel ausgehend glaube ich jedoch, dass es Alternativen zum Einfamilienhaus braucht. Die Art, wie Menschen zusammenleben und wie sie arbeiten, hat sich stark verändert. Gleichmäßig verlaufende Biografien, die auf einen Wohnort, eine Familienform und einen einzigen Arbeitsplatz festgelegt sind, gibt es nicht mehr so häufig wie im Industriezeitalter der 1950er- bis 1980er-Jahre.

Was sind aus Ihrer Sicht die Alternativen? Zum Beispiel Mehrparteienhäuser, in denen Menschen ihre eigene Wohnung in entsprechender Größe haben, sich aber auch Flächen mit anderen Wohnungsinhabern teilen. Das kann eine größere Küche sein, die angemietet werden kann, wenn am Wochenende Besuch oder die Patchworkfamilie angesagt ist. Das kann auch eine gemeinsame Bibliothek sein oder ein Arbeitszimmer in Form eines Co-Working-Space, der auch für andere offen ist.

Müssen wir uns beim Wohnen in Zukunft generell verkleinern? In den vergangenen 45 Jahren nahm die Bevölkerung in Österreich um fast 20 Prozent zu. Die Wohnfläche pro Person verdoppelte sich auf etwa 46 Quadratmeter. Die Frage ist eher: Wie kann man Platz und Räume sinnvoller und vor allem auch gemeinschaftlicher nutzen? Ich bin viel in der Immobilienwirtschaft unterwegs und höre immer wieder von Hausverwaltern, dass der Umgangston unter den Bewohnern aggressiver wird. Die Menschen laufen sich zu selten über den Weg, reden nicht mehr miteinander, sondern schreiben sofort einen Beschwerdebrief an die Hausverwaltung. Das war in der Menschheitsgeschichte noch nie so. Wohnen und auch das Arbeiten waren immer viel stärker miteinander verknüpft.

Das Einfamilienhaus ist nur mehr für wenige finanzierbar. Was bedeutet das für die Gesellschaft? Dass wir es dann mit privilegierten und nicht privilegierten Menschen zu tun haben. Mit einer Generation, die einen Baugrund oder Geld erben muss, um sich das noch leisten zu können. Darin sehe ich eine große Gefahr, die ohnehin schon vorhandene Spaltung der Gesellschaft weiter zu verstärken. Wenn wenige Menschen immer mehr Eigentum haben und gleichzeitig sehr viele keines mehr, obwohl sie es sich wünschen, entsteht ein Ungleichgewicht.

Eigentum ist Diebstahl? Nein, ein bestimmter Grad an Eigentum sorgt für Stabilität. Das gilt innerhalb von Familien, aber auch innerhalb einer Region und der Gesamtgesellschaft. Eigentum sorgt für Verbindlichkeiten und vielleicht auch dafür, dass sich Menschen mehr mit ihrer Umgebung identifizieren und auf sie achten, dass sie stärker partizipieren und so weiter. Ich glaube, darin liegt ein guter Kontrapunkt zur Beliebigkeit unserer hoch digitalisierten und globalisierten Welt. Das bestätigt auch eine aktuelle Jugendstudie. Demnach sagen Jugendliche zwischen 17 und 19 wieder öfter: Eigentum ist mir wichtig oder ist für mich das Erstrebenswerteste, weil es für Stabilität sorgt. Und das ist logisch in einer Welt, die so instabil ist - und die Zukunft so unberechenbar.

Was müsste die Gesellschaft tun, damit Wohnen auf lange Sicht bezahlbar bleibt? Es gibt bestimmte Muster des Wandels. Krisen lassen sich auch vorhersehen. Dinge erst in der Krise zu verändern ist immer schwieriger als in der Zeit davor. Wenn wir vom Wohnbau reden: In Österreich wurde bei der Finanzierung erst vor kurzer Zeit die Eigenkapitalquote von 10 auf 20 Prozent erhöht. Damit ist für viele, die sich ein Haus bauen wollen, plötzlich eine Riesenhürde aufgetaucht. Außerdem wurde beim Bau sehr auf "Entweder-oder" in Bezug auf Baumaterialien und Ausstattung gesetzt. Es gibt aber gute Architekten, die günstigere Lösungen anbieten, mit denen sich viel sparen lässt.

Derzeit haben wir noch eine starke Landflucht. Sehen Sie, dass sich das in Zukunft umkehren könnte, wenn etwa die Folgen des Klimawandels das Leben in der Stadt unerträglich machen? Auf jeden Fall. Ich sehe diese Tendenz schon jetzt, besonders in Österreich, wo wir schon immer wirtschaftlich starke Regionen hatten. In Deutschland ist das anders. Dort sind die stärkeren Regionen im Süden, im Osten sind einzelne Regionen wirklich mehr oder weniger leer. Aber auch da findet eine Revitalisierung statt. Hof Prädikow in der Märkischen Schweiz ist ein gutes Beispiel. Da haben sich unterschiedliche Menschen zusammengetan, einen brachliegenden Hof gekauft und erneuert. Sie definieren gemeinsam eine neue Art von Leben, Wohnen, Arbeiten und Kultur. Ich halte es für eine sehr starke Zukunftsperspektive, sich nicht nur auf Neues zu fokussieren, sondern auch Gutes aus der Vergangenheit mitzunehmen.

Müssen sich Landgemeinden auf eine Stadtflucht vorbereiten? Ja, die Gemeinden sollten sich unbedingt darauf vorbereiten und die Regeln neu schreiben. Derzeit gelten in fast allen Bereichen Regeln, die für eine Gesellschaft geschrieben wurden, die es so eigentlich nicht mehr gibt. Sie sollten gleichzeitig unbedingt darauf achten, dass es nicht zu einer "McDonaldisierung" wie in Städten kommt. Sprich: dass dann jeder Ort wieder gleich ausschaut. Es braucht Konzepte für ästhetisches Bauen, aber auch Ideen, wie die Region miteinbezogen werden kann. Landstriche müssen viel vernetzter gedacht werden, auch im Sinne von Mobilität, Fachkräften und Pendlerdasein. Ich glaube, das größte Problem ist, dass viele Orte noch zu sehr auf sich fokussiert sind. Es gibt natürlich die Möglichkeit, interessante Regionen zu schaffen. Aber eben nur, wenn innerhalb der Regionen zusammengearbeitet wird.