SN.AT / Leben / Karriere

Jugendliche aus Zuwandererfamilien in der Lehre

Aus dem vollen Talente-Pool schöpfen: Unternehmen bemühen sich verstärkt um migrantische Jugendliche. Bislang sind sie in Lehrberufen stark unterrepräsentiert.

Sie sind demnächst gelernte Speditionskauffrauen beim Logistikunternehmen Lagermax (von links): Irina Ion (41) aus Rumänien und Aleksandra Angelovska (32) aus Nordmazedonien mit der Lehrlingsbeauftragten Susanne Traunfellner.
Sie sind demnächst gelernte Speditionskauffrauen beim Logistikunternehmen Lagermax (von links): Irina Ion (41) aus Rumänien und Aleksandra Angelovska (32) aus Nordmazedonien mit der Lehrlingsbeauftragten Susanne Traunfellner.

Die Firma Lagermax Internationale Spedition ist ein mehrfach ausgezeichneter Ausbildungsbetrieb. Mehr als 300 Lehrlinge haben das Salzburger Unternehmen im Lauf der Jahre durchlaufen, wobei die zahlenmäßig stark geschrumpfte Jugend heute anders angesprochen wird als früher. Die Welt der Logistik sei cool, verspricht ein Imagevideo im James-Bond-Stil und zeigt Mädchen im Lackierraum und Burschen mit öligen Händen im Blaumann: "Upgrade your future". Die Palette an Berufen ist breit, man bietet Prämien, Persönlichkeitstraining, Auslandspraktika, Essensgutscheine, Theater- und Kinokarten. Heutzutage muss man für eine Lehre auch nicht mehr 15 sein.

Bei Lagermax werden zwei Frauen aus Südosteuropa demnächst ausgelernte Speditionskauffrauen sein

Beide haben kleine Kinder, Aleksandra Angelovska aus Nordmazedonien ist 32 Jahre alt, Irina Ion aus Rumänien ist 41. Sie sind ihren Männern nach Österreich gefolgt, "um hier zu arbeiten und sich wirtschaftlich zu verbessern". Angelovska hat in ihrer Heimat ein Italienisch-Studium begonnen, Ion hat in Österreich ein bisschen Geld mit Putzen, im Verkauf und in der Produktion dazuverdient. Über das Förderprogramm "Frauen in die Technik" begannen sie eine Lehre bei Lagermax.

Der Fachkräftemangel habe alles verändert, erklärt die Lehrlingsbeauftragte Susanne Traunfellner. "Heute nehmen sie dich mit 40 mit Handkuss und du kannst gutes Geld verdienen." Das Unternehmen ermöglicht den berufstätigen Müttern eine 30-Stunden-Woche. Beide seien "sehr engagiert, ehrgeizig und loyal. Frauen wechseln weniger als Männer", weiß Traunfellner. Das sprachliche Potenzial der beiden Mitarbeiterinnen: Rumänisch, Mazedonisch, Italienisch, Englisch, Deutsch.

In seiner Schneiderei in Salzburg-Aigen bildet der syrische Schneidermeister Mohamad Belal seine Landsfrau Shefaa Alahmad aus.
In seiner Schneiderei in Salzburg-Aigen bildet der syrische Schneidermeister Mohamad Belal seine Landsfrau Shefaa Alahmad aus.

Gegenüber dem Aigner Bahnhof in der Stadt Salzburg führt der Syrer Mohamad Belal (43) eine Maß- und Änderungsschneiderei, von der er inzwischen leben und seine Familie ernähren kann. Der Kurde kam 2015 als Kriegsflüchtling über die Türkei nach Österreich. Die Meisterprüfung musste er wiederholen, das war "furchtbar viel Papier und Bürokratie". Belal fertigt Herrenanzüge - per Hand oder mit der Maschine -, wie man sie genauso gut an luxuriösen Einkaufsstraßen findet. Inzwischen vermittelt der Syrer sein Können weiter. Shefaa Alahmad (23), eine junge Landsfrau, ist im dritten Lehrjahr und bereitet sich gerade auf die Gesellenprüfung vor. Für sie war nach zwei Wochen Schnuppern in der Schneiderei klar: "Das ist cool."

Mehrsprachigkeit ist ein enormer Mehrwert

Im europäischen Arbeits- und Wirtschaftsmarkt ist Mehrsprachigkeit ein enormer Mehrwert. Viele Akteure wie die Polizei, Unternehmen und Sozialpartner trachten danach, das Potenzial der zugewanderten Bevölkerung zu heben. "Es ist schlichtweg ein makroökonomischer Zugang", erklärt Davor Sertic, Obmann der Sparte Transport und Verkehr und Diversitätsbeauftragter der Wirtschaftskammer Wien. "Es geht um einen größeren Talente-Pool und am Ende des Tages um einen größeren Kunden-Pool."

Junge Menschen aus Zuwandererfamilien sind schlechter im Arbeitsmarkt integriert

Tatsächlich sind junge Menschen aus Zuwandererfamilien schlechter in den Arbeitsmarkt integriert. Sie sind "überdurchschnittlich stark unter den Arbeitslosen und Lehrstellensuchenden vertreten", stellen eine AK-Studie aus 2014 sowie der Parlamentsbericht "Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung 2020-2021" fest. Ihre Bildungswege sind oft bruchstückhaft.

Was weniger an Diskriminierungserfahrungen, sondern mehr am sozioökonomischen Hintergrund der Eltern liege. Der Erfolg gelingt von Generation zu Generation besser: So brechen 23,2 Prozent der Jugendlichen der ersten Generation die Schule frühzeitig ab, 15,2 Prozent der zweiten Generation und 5 Prozent der genuin österreichischen Jugendlichen.

Indessen ist das Bildungsideal in Migrantenfamilien hoch: Türkischstämmige Eltern wünschen sich überproportional oft einen Hochschulabschluss für ihre Kinder, Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien die Matura.

"Diskriminierung ist heute nicht mehr die Hürde."
Martina Plaschke
WKS

"Wir wissen um die Defizite, wir wollen das ändern", sagt Martina Plaschke, Bereichsleiterin für Lehre, Strategie und Initiativen in der Wirtschaftskammer Salzburg. Plaschke tut viel, um die Communitys besser zu erreichen, Eltern die oftmals unbekannte duale Ausbildung zu erklären. Sie sei "tief in der Lehre drinnen", so Plaschke. "Diskriminierung ist nicht der Grund für die geringere Teilhabe, heute schon gar nicht mehr. Bildung wird vererbt. Es geht um praktische Dinge. Ich erlebe oft, dass Betriebe anrufen, dass es nicht ganz einfach ist, die Jugendlichen zu motivieren, dass sie in die Berufsschule gehen."

In Wien ändert sich bereits etwas

Entgegen dem Österreich-Trend ist die Zahl der Lehrlinge im Jänner 2024 um 3,8 Prozent gegenüber 2023 gestiegen - der Zuwachs im Bundesschnitt lag bei 0,4 Prozent. Der Wirtschaftskammerfunktionär Davor Sertic erklärt das so: 46 Prozent der Wiener Bevölkerung (854.000 Menschen) haben ihre Wurzeln im Ausland, ebenso 40 Prozent der Wiener Unternehmer und Unternehmerinnen. Für sie habe man seit Langem Förderprojekte aufgestellt, die nun offenbar Früchte tragen. Sertics Familie emigrierte aus Kroatien. Sein Weg: Wirtschaftsstudium, Speditionslehre bei Lkw Walter, 2004 Gründung des Logistikunternehmens UnitCargo. Der Internetauftritt ist auf Englisch, die Belegschaft bunt, mehr als die Hälfte sind Frauen, auch im Management. Man stelle mittlerweile auch Personen ein, die nicht Deutsch sprechen. "Ich habe früher immer gesagt, es müssen Deutschkenntnisse vorhanden sein. Es gibt in Wien aber immer mehr Mitarbeiter, die nicht Deutsch, aber sehr gut Englisch können. Wir scheuen uns nicht, die aufzunehmen." Generell sollten in Österreich lebende Menschen jedoch Deutsch lernen. "Das ist sozial wichtig. Man sollte sich integrieren, keine eigene Society leben."