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"Fuckup Night" auf der Nawi Salzburg: Wissenschaft ist geplantes Scheitern

Viele Studierende fürchten sich vor dem Scheitern. Die erste Studi-Edition einer Salzburger "Fuckup Night" auf der Uni zeigt, dass Misserfolge dazugehören.

Plustrack, die Community-Plattform der Uni Salzburg holt die „Fuckup Nights“ auf die Uni.
Plustrack, die Community-Plattform der Uni Salzburg holt die „Fuckup Nights“ auf die Uni.

Dunkle Wolken ziehen hinter der Festung vorbei. Die Wettervorhersagen bleiben unsicher. Die Veranstaltung droht fast selbst zu scheitern. Trotzdem laufen die Vorbereitungen im Park hinter der Naturwissenschaftlichen Fakultät (Nawi) auf Hochtouren. Auf der Wiese werden es sich bald 150 Menschen auf ihren Picknickdecken gemütlich machen. Vor den Picknickdecken steht eine Bühne aus Paletten, daneben zwei Bildschirme und Lautsprecher. Fünf Sprecher und Sprecherinnen werden an diesem Abend in zehn Minuten begleitet von zehn Bildern über ihr ganz persönliches Scheitern erzählen. Es ist die mittlerweile 24. "Fuckup Night" in Salzburg. Seit 2018 gibt es das Format, das ursprünglich aus Mexiko kommt, in der Mozartstadt. Regelmäßig teilen Menschen auf der Bühne der "Fuckup Nights" ihre Erfahrung mit einem beruflichen Scheitern und reflektieren, was sie daraus gelernt haben. Denn genau darum geht es: Fehler passieren. Doch anstatt sie unter den Teppich zu kehren, soll das Lernpotenzial, das in einem Misserfolg steckt, genutzt werden.

Gegen die Angst vor dem Versagen

An diesem Juniabend wird mit der Studi-Edition eine besondere Ausgabe des Events in Salzburg stattfinden. Erstmals richtet es sich direkt an ein studentisches Publikum. Denn gerade im universitären Umfeld wird nicht gern über Misserfolge gesprochen.

"Studierende sind von einer ständigen Angst geplagt, zu versagen. Deshalb tun sie nur Dinge, bei denen sie zu 100 Prozent sicher sind, dass sie nicht scheitern", erzählt Anna Moser, Doktorandin der Psychologie. Moser ist Teil von Plustrack, einer Community-Plattform der Uni Salzburg, die gezielt Initiativen setzt, um Studierende zu vernetzen und sie während ihres Studiums zu begleiten: "Das ist so schade, denn wenn man immer nur perfekt sein will, dann entgeht einem die Chance, an Herausforderungen zu wachsen."

Weil Plustrack Studierende gerade in schwierigen Zeiten unterstützt, kam Moser auf die Idee, das Format der "Fuckup Nights" an die Uni zu holen: "Bei uns suchen viele Rat, weil sie so hohe Ansprüche an sich selbst haben und Angst davor, falsche Entscheidungen zu treffen. Keine Eins zu bekommen ist für viele schon ein Scheitern. Seminare werden gar nicht erst belegt, aus Angst, sie nicht zu bestehen."

Das Wetter hat sich mittlerweile stabilisiert. Das Gelände neben dem Teich füllt sich langsam. Und so erzählt zum Beispiel Thomas auf der Bühne von seiner Erkenntnis, dass ein Studium für ihn nicht die richtige Entscheidung war. Sich das einzugestehen war schmerzhaft und dauerte Jahre. Er bricht schließlich mitten während der Masterarbeit ab. Ganz anders erlebt es Eva. Sie weiß genau, wohin sie will, wird aber mehrfach von Schulen und Fachhochschulen abgelehnt. Als sie es dann an eine Fachhochschule schafft, bekommt sie auf ihre Bachelorarbeit ein Nicht genügend. Obwohl ihr das den Boden unter den Füßen wegzieht, gibt Eva nicht auf. Im zweiten Anlauf bessert sie die Arbeit sogar auf ein Sehr gut aus. Was bleibt, ist aber das nagende Gefühl, erneut zu versagen. Eva stellt sich ihrer Angst. Heute hat sie ihren Master in der Tasche.

Druck und Versagensängste unter Studierenden

Weniger Druck und Versagensangst würde sich vermutlich auch positiv auf die mentale Gesundheit auswirken. Dass bereits Studierende darunter leiden, zeigt zum Beispiel das Mental-Health-Barometer. Mehr als 8000 Studierende in Deutschland und Österreich wurden befragt, über 80 Prozent gaben an, sich im Studium gestresst zu fühlen, sogar jeder Zweite beurteilte seine eigene mentale Gesundheit als nicht gut bis schlecht.

"Ich denke, wir gewinnen ein Grundvertrauen und irgendwann auch ein wenig mehr Gelassenheit, wenn wir Geschichten wie die von Eva und Thomas hören und sehen, dass es dann trotzdem gut weitergehen kann", so Moser.

Wie wir nachhaltig aus Fehlern lernen

Gerade wer an der Uni bleibt und wissenschaftlich arbeitet, sollte eigentlich mit Ablehnung umgehen können, meint Moser. In der Forschung werden Fragen gestellt, Hypothesen formuliert und erst im Arbeiten stellen sich Vermutungen als wahr oder falsch heraus. "Wissenschaft ist damit eigentlich an sich schon geplantes Scheitern. Spannend ist, dass trotzdem genau hier das Mindset fehlt, dass ein Scheitern dazugehört."

Warum das so ist, hat viele Gründe. Scheitern ist in unserer leistungsorientierten Gesellschaft stigmatisiert. Wir definieren uns über Erfolge. Die Angst vor dem Versagen ist allgegenwärtig, das Versagen selbst schambehaftet. In der wissenschaftlichen Welt kommt eine zusätzliche Komponente ins Spiel. Im Kampf um Lehrstühle und Drittmittel sind Veröffentlichungen in Wissenschaftsmagazinen unerlässlich. Ohne nachweisbare Erfolge kann man nicht publizieren, erhält keine Förderungen und Forschungsgelder. Untereinander herrscht starker Konkurrenzdruck. Fehler passen nicht ins Bild.

Würden gescheiterte Studien nicht still und leise in Schubladen verschwinden, sondern genauso publiziert und offen diskutiert werden, dann könnte sich das durchaus positiv auf die Qualität künftiger Forschungen auswirken, ganz nach dem Motto "nicht in jede Sackgasse muss man selbst gehen".

Mit gutem Beispiel ging Universitätsdozent Paul Lengenfelder bei der "Fuckup Night" voran. Er koordiniert die Aufnahmetests für den Fachbereich Psychologie. Aus Versehen hatte er Bögen mit den korrekt markierten Antworten ausgegeben. Das mediale Echo war damals enorm, seine Botschaft an diesem Abend klar und kraftvoll zugleich: Fehler sind menschlich und es ist wichtig, aus ihnen zu lernen.

Kultur des Scheiterns: Umgang mit Misserfolg üben, daraus lernen und wachsen

Damit das Lernen aus Fehlern nachhaltig gelingt, haben sich sechs Studierende des Masterstudiums Psychologie gemeinsam mit Moser das Scheitern im universitären Umfeld unter psychologischen Gesichtspunkten genauer angesehen. Sie entwickelten Anleitungen und Ideen, die die Fehlerkompetenz der Studierenden stärken sollen. Eine der Ideen ist eine "Fuckup Challenge", die Studierende ermutigen soll, sich über einen längeren Zeitraum mit ihren Fehlern auseinanderzusetzen. Eine weitere Gruppe ist daran interessiert, einen eigenen Scheiterclub zu gründen.

"Die Veranstaltung kam sehr gut an und ich wünsche mir, dass die Idee der ,Fuckup Night' zum fixen Bestandteil an der Uni Salzburg wird, dass wir so etwas wie eine Kultur des Scheiterns etablieren", so Moser. "Die Uni ist ein Ort für persönliche Weiterentwicklung. Es gehört dazu, einen Umgang mit Misserfolgen oder auch mit schlechtem Feedback zu üben, daraus zu lernen und zu wachsen. Ich bin froh, dass sich bei uns aktuell einiges dazu bewegt."