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Warum künstliche Intelligenz Hochschulen besonders fordert

Die künstliche Intelligenz (KI) in ihrer heute und in Zukunft einsetzbaren Form dringt in jeden Bereich der Hochschulen ein, sagt Bildungsforscher Martin Unger vom Institut für Höhere Studien (IHS). Den damit einhergehenden fundamentalen Änderungen müssen die Hochschulen nun sehr schnell Rechnung tragen.

Künstliche Intelligenz bietet Chancen, bringt aber auch Bedenken mit.
Künstliche Intelligenz bietet Chancen, bringt aber auch Bedenken mit.

Offen gesagt bekommen wir zu Hochschulen und KI noch wenige Anfragen", verrät IHS-Forscher Martin Unger und ist selbst ein bisschen verwundert darüber. Denn KI sei dank ChatGPT und vielleicht auch des "autonomen Fahrens" von Tesla derzeit hoch im Kurs, in der gesamten Gesellschaft. "In einigen Bereichen ist KI aber natürlich seit vielen Jahren präsent und ein wichtiges Thema - zum Beispiel in einschlägiger Forschung und Entwicklung", betont Unger.

Drei unterschiedliche Bereiche in der Diskussion über KI

Was die Hochschulen betrifft, müsse man bei der Diskussion über KI grundsätzlich drei Bereiche auseinanderhalten: die Anwendungen und Auswirkungen in der Forschung, der Lehre und der Verwaltung von Hochschulen. "Betroffen" seien diese allerdings nur bedingt, im Sinne einer Auslieferung, meint der IHS-Forscher. Das sei eine zu negative Betrachtungsweise. Vielmehr gebe es zahlreiche Chancen in allen Bereichen. "In der Verwaltung der Hochschulen punkten KI-Anwendungen unter anderem bei Chatbots in der Beratung oder bei Datenanalysen. Beispielsweise bei den für Unis nun auch budgetär wichtigen prüfungsaktiven Studierenden - welche Studierenden absolvieren wie viele Lehrveranstaltungen und welche Eigenschaften haben jene, die knapp unter dem Niveau liegen und eventuell angehoben werden können?"

Künstliche Intelligenz: Chancen und Bedenken

In der Lehre sei man hingegen etwas "betroffen", wenn es um Schummeln mit KI gehe oder besser ausgedrückt: um das Erhalten einer guten wissenschaftlichen Praxis. Aber auch hier würden Chancen warten, meint Unger, in der Didaktik zum Beispiel, die KI vielfältig nutzen könne. Auch in der Forschung sei das möglich, viele Aufgaben von der Recherche bis zur Analyse könnten durch KI unterstützt werden, effektiver und/oder effizienter gemacht werden. Und natürlich sei es auch entscheidend, die KI selbst umfassend und in allen Facetten zu erforschen: "Die Welt hinter ChatGPT ist riesig."

"Das Wissenschaftssystem kann durch KI noch mehr in die Bredouille kommen."
Martin Unger
Institut für Höhere Studien (IHS)

Dem gegenüber stünden aber auch Bedenken. "Klar ist, das Wissenschaftssystem als Ganzes kann durch diese Technologie auch noch mehr in die Bredouille kommen", mahnt Martin Unger. Man habe schon in der Pandemie gesehen, wie viel Schindluder mit einfachen technischen Mitteln getrieben werden könne, wie nur vermeintlich wissenschaftliche Erkenntnisse Millionen von Menschen erreicht und falsch beeinflusst hätten. "KI bietet hier Potenzial in einer ganz neuen Liga. Davor muss man sich wirklich fürchten, wenn man an das heurige Superwahljahr denkt. Es besteht die Gefahr, dass die Gesellschaft kippt."

Lehramtsausbildung ist zentraler Punkt für KI-Kompetenzen

Das generelle Problem dahinter sei die fehlende KI-Kompetenz an allen Ecken und Enden, selbst an den Unis sei fraglich, wie strukturiert bereits darüber nachgedacht werde. Es brauche flächendeckende Kompetenzen in eben allen Bereichen, da auch praktisch alle tangiert würden. Insbesondere Hochschulen müssten umgehend damit beginnen, ihre Lehrenden zu schulen, damit diese dann wieder entsprechend adaptierte Dinge weitergeben könnten. "Das wird praktisch in allen Disziplinen gebraucht - und es fehlen die Leute", attestiert der IHS-Forscher. "

Deshalb wäre ein wichtiger erster Schritt: eine massive Weiterbildungsoffensive unter den Lehrenden." Dabei würden generelle KI-Schulungen nicht ausreichen, es brauche schnellstmöglich auch fachspezifische Angebote. "Das ist eine Megaaufgabe für die Hochschulen", warnt Unger. "Deshalb sollte man das auch in Kooperation - zum Beispiel über eine gemeinsame Plattform - tun, anstatt viele Silos zu errichten."

Ein Türöffner für diese "Megaaufgabe" könne dabei die "Textbasiertheit" vieler wissenschaftlicher Disziplinen sein, was eine gute Brücke zu den sogenannten Large Language Models (LLM) in der KI, also zum Beispiel dem Programm ChatGPT, sei.

Ein zentraler Punkt sei darüber hinaus auch die Lehramtsausbildung, betont Unger: "Hier gibt es eine große Verantwortung. Wenn wir den angehenden Lehrer:innen - und zwar optimalerweise in wirklich allen Schulstufen - diese Dinge nicht mitgeben, verpassen ganze Generationen an Schüler:innen diese relevanten Inhalte und Kompetenzen." Bei den Hochschulen sieht Unger dabei nicht die Hauptverantwortung - sondern bei einer "vernunftbasierten Politik". Die Hochschulen sollten allerdings dabei mitwirken und ihre Schlüsselrolle ernst nehmen.

Generell hätten sie es dabei nicht leicht: "Die Unis hecheln bei KI dem ,Big Tech' aus den USA hinterher. Diese Entwicklungen kommen eben nicht von den Hochschulen, sondern aus der Industrie, und von dort werden sie auch getrieben."

Dieser Aspekt der Fremdgesteuertheit und Abhängigkeit gerät zunehmend ins Visier der Expert:innen und Kritiker:innen. Unlängst thematisierten Professor:innen zweier Hochschulen in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen "schleichenden Autonomieverlust" und "digitale Unmündigkeit" der Hochschulen. Schon bislang seien diese stark durch verschiedene Softwareanwendungen beeinflusst worden - von Plagiatsprüfungen bis hin zu Online-Meeting-Tools -, allerdings noch nie so umfassend und tiefgreifend. Sie würden die KI-Software trainieren, seien zunehmend abhängig von ihrem Einsatz und dabei den meist intransparenten Algorithmen ausgeliefert. Die Autor:innen plädieren hingegen für alternative, offene Lösungen.

Das wünscht sich auch Martin Unger für die Hochschulforschung: "Es gibt so viel, das wir mit einer guten KI-Anwendung analysieren könnten!"