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Nie mehr Schule

Fluch und Segen. Sobald man die Schule betritt, kann man es kaum erwarten, sie endlich wieder zu verlassen.

Die Schule vermissen, wenn sie vorbei ist, also ganz, für immer? Vermisst man die Gespräche mit den Sitznachbarn, die die besten sind, wenn der Lehrer zu spät kommt? Vermisst man die allgemein verzweifelte Stimmung, die nach einer Mathe-Schularbeit den Klassenraum erfüllt? Vermisst man das Gefühl von Gemeinschaft, wenn sich die ganze Klasse bei einem Lehrer über den anderen Lehrer aufregt? Vermisst man den Schmerz, der sich von der Hand in den Unterarm ausbreitet, wenn man schon zu lange aufzeigt? Vermisst man das Gebet vor jeder Reli-Stunde, dem nie wirklich jemand zuhört, aber trotzdem eine vermeintliche Aufmerksamkeit herrscht, die sonst nur dem Rechnungswesen-Lehrer in der letzten Stunde vor der Schularbeit vorbehalten ist? Vermisst man die unbeschreibliche Freude, das Gefühl, stärker als die Schule zu sein, wenn endlich eine Stunde ausfällt?

Vermisst man die warme Schokolade aus den Automaten, die man außer in der Schule niemals essen würde? Vermisst man die Stunden, die man zu Hause hockt ohne Hoffnung, das Mathe-Thema endlich zu verstehen? Vermisst man das Gedränge vor den Spinden, das Warten, endlich seine Bücher herauszuziehen, die durch die von Stress verursachte Grobheit nun einen Riss im Cover haben? Vermisst man die wenigen Minuten der Stunde, in denen der Lehrer die Anwesenheit kontrolliert und man noch kurz, ohne böse Blicke, mit seinem Sitznachbarn über alles und jeden lästern kann?

Vermisst man den Stress, das pochende Herz, die schlampige Handschrift, wenn man vor der Stunde noch schnell die Hausaufgabe fertig abschreibt? Vermisst man die Nervosität, die den ganzen Körper in Beschlag zu nehmen scheint, wenn man die Schularbeit zurückbekommt? Vermisst man das allgemeine Stöhnen, das durch die Reihen zieht, wenn der Lehrer eine Wiederholung ankündigt? Vermisst man die kleinen Plättchen, die der Locher ausspuckt, wenn der Lehrer einmal wieder vergessen hat, die Zettel zu lochen, und die dann unbemerkt auf den Boden geworfen werden?

Vermisst man die Stimmung, die die Schule in den letzten Tagen vor den Sommerferien erfüllt, eine Gelassenheit und Vorfreude auf ein Leben ohne Schule, die es sonst nirgendwo gibt? Vermisst man die Stunden nach den Ferien, in denen jeder von seinem Urlaub erzählt und in Erinnerung schwelgt, an eine Zeit ohne Schule? Eine Zeit ohne Stress, Angst, Verzweiflung, Wut und alle anderen negativen Gefühle, die Schüler zwischen 6 und 19 Jahren in Bezug auf die Schule je gefühlt haben.

Vermisst man all das, wenn die Schule vorbei ist? Wenn die Schule vorbei ist, dann ist ein Teil des Lebens vorbei. Ein Teil des Lebens, der einem so vorkam, als würde er nie vergehen. Ein Teil des Lebens, den zu beenden man kaum erwarten konnte. Dann ist man frei. Frei von allem, was für einen damals das Schlimmste war. Das Damoklesschwert, das am Sonntag über einem schwebte und am Montag herunterkrachte, das löst sich in Luft auf.

Ein Leben lang bereitet man sich auf diesen Tag vor. Den Tag, an dem man seine Maturaergebnisse in die Hand gedrückt bekommt und entlassen wird. Entlassen in die Welt. Und dann ist es plötzlich vorbei. An einem Junitag tritt man aus dem Gebäude, in dem man die letzten Jahre seine Tage und gedanklich auch seine Nächte verbrachte. Der Ort, an dem man lachte und weinte, an dem man flüsterte und schrie, an dem man manchmal schlief und noch seltener aufmerksam war, an dem man Freunde und Feinde fürs Leben fand. Der Ort, den man öfter sah als seine Familie, von dem man alle Ecken und Kanten kannte, die Stiegen hasste und den Ausgang liebte. Der Ort, der für manche die Hölle war, aber für niemanden der Himmel. Der Ort, an den man nie wieder hinwollte, aber jetzt …

Jetzt ist es vorbei. Jetzt ist die Schule aus. Für immer. Nie wieder. Ein Moment, den man nicht glaubte zu erleben. Doch jetzt ist er da. Und man kann nicht mehr zurück. Jetzt ist man endgültig erwachsen. Und wie ist die Schule jetzt? Ist sie noch immer ein Platz, dem man immer entfliehen wollte? Ein Platz, den endlich zu verlassen man kaum erwarten konnte? Oder ist sie jetzt ein anderer Platz? Ein Platz, der vielleicht nicht immer schlecht war. Und plötzlich ist die Schule nicht mehr verhasst. Plötzlich ist sie ein Platz, an dem man am liebsten noch bleiben würde. Plötzlich ist sie ein Platz voller guter Erinnerungen. Erinnerungen an all die Freunde, die man gefunden hat, an all die Tränen, die man gelacht hat, an all die tiefen Gespräche, die man geführt hat, an all die Sachen, die man gelernt hat, an all die Weisheiten, die einem mit auf den Weg gegeben wurden, an all die Stunden, die man nie vergessen wird.

Die Schule hat einen zu dem gemacht, der man heute ist. Zu dem Menschen, der nun frei ist. Von einem Moment auf den anderen wurden all die negativen Erinnerungen gelöscht und von den Minuten und Stunden überdeckt, an die man noch sein ganzes Leben lang denken wird. Und man bemerkt, dass die Schule doch eigentlich gar nicht so schlimm war, wie man immer dachte. Eigentlich war sie sogar ganz cool. Aber jetzt kann man nicht mehr zurück. Denn jetzt ist sie vorbei. Endgültig. Für immer. Nie wieder Schule.

Emilia Kubesch ist 18 Jahre alt, lebt in Wien und maturiert an der HLW Sta. Christiana.

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