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Nach Rom reisen - und den Sinn des Lebens suchen

Das mystische Licht im Pantheon, die Zartheit der Pietà von Michelangelo, die Lebenslust am Trevibrunnen - warum der Sinn des Lebens in Rom so greifbar ist und was das mit dem antiken Weltreich zu tun hat.

Das Pantheon in Rom wird durch seine einzigartige Öffnung in der Kuppel vom gleißenden Licht der südlichen Sonne geflutet. 
Das Pantheon in Rom wird durch seine einzigartige Öffnung in der Kuppel vom gleißenden Licht der südlichen Sonne geflutet. 
Lebensfreude, Kunst und Gladiatorenkämpfe: Im Trevibrunnen strömen die Wasser in unendlicher Fülle, ...
Lebensfreude, Kunst und Gladiatorenkämpfe: Im Trevibrunnen strömen die Wasser in unendlicher Fülle, ...
... im Petersdom berührt die Pietà durch ihre stille Trauer und zarte Hoffnung, ...
... im Petersdom berührt die Pietà durch ihre stille Trauer und zarte Hoffnung, ...
... und das Kolosseum steht für dekadente Kaiser, die das Volk durch Brot und Spiele ruhig hielten.
... und das Kolosseum steht für dekadente Kaiser, die das Volk durch Brot und Spiele ruhig hielten.

Sinnsuche in Rom? Das kann wohl nur eine Tour de Force von einem katholischen Hotspot zum nächsten sein, könnte man meinen. Doch die Suche nach dem Sinn des Lebens reicht am Tiber weit zurück in die Antike. Sie beginnt mit jenem Römischen Reich, das als winziges Gemeinwesen in Mittelitalien seinen Anfang nahm und die ganze damals bekannte Welt eroberte. Dieses Weltreich der alten Römer ist für Manfred Lütz in seinem neuen Buch "Der Sinn des Lebens" die erste Station. "Die Römer haben ihr Weltreich auf einem absoluten Pflichtbewusstsein gegenüber dem Staat aufgebaut. Der Staat war die Voraussetzung dafür, dass der Mensch den Sinn des Lebens entdecken konnte. Sich für den Staat einzusetzen und sogar die eigenen Kinder dafür zu opfern, wie das bei altrömischen Konsuln der Fall war, hat dem Leben seinen Sinn gegeben." Augenscheinlich und mit Händen greifbar wird das auf dem Forum Romanum. Dort steht ein zentrales Symbol dafür, was für das alte Rom den Sinn des Lebens ausmachte: der goldene Meilenstein, von dem aus alle Straßen im gesamten römischen Weltreich vermessen wurden. Bis nach Köln, wo ein römischer Meilenstein noch heute auf das ferne Rom verweist.

Kann sich also der Sinn des Lebens im Staat erfüllen? Einige Jahrhunderte scheint das gut gegangen zu sein. Aber je größer der römische Weltstaat wurde, desto mehr Erosionen zeigten sich im Inneren. Das absolut negative Sinn-Symbol dafür ist das Kolosseum, dieses monströse Amphitheater mit 50.000 Plätzen, das der hemmungslosen Volksbelustigung diente. "Panem et circenses", Brot und Spiele - nur ein Katzensprung ist es in Rom vom Forum Romanum, dem Inbegriff der höchsten Staatsraison, zum Kolosseum, dem totalen Widersinn des Abschlachtens von Menschen und Tieren, um das Volk bei Laune zu halten. "Angesichts der Größe ihres Reiches haben die römischen Kaiser das Volk auch als gefährlich für ihren Machtanspruch gesehen. Daher haben sie die Leute durch öffentliche Spektakel so weit abgelenkt, dass sie unpolitisch wurden", sagt Lütz und zieht eine Parallele zu heute: "Das ist vergleichbar damit, dass wir 2024 in den USA einen Entertainer haben, der wieder Präsident werden will. Der kann den größten Unsinn sagen, aber wenn es unterhaltsam ist, finden es viele Leute gut."

Konnte das Christentum vielleicht gerade deshalb in dem zerfallenden Weltreich Fuß fassen, weil der Staat allein auf Dauer keinen Lebenssinn begründen kann? Tatsache ist, dass das mächtige Rom durch einen Mann konterkariert wurde, der zum römischen Statthalter Pontius Pilatus sagte: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt." Was das heißt, ist in den Fresken der Katakomben zu sehen. Die zeigen mit geradezu jugendlicher Frische, wie eine neue Idee den römischen Götterkult verdrängt, der keine lebendigen Antworten auf die Sinnfrage mehr zu geben vermochte. Der alte Glaube und die römische Staatsgewalt wurden abgelöst durch eine frappierende Friedfertigkeit und durch eine Sinnperspektive, die weit über den irdischen Tellerrand hinaus reicht.

Den Inbegriff dafür sieht Manfred Lütz in der Pietà von Michelangelo im Petersdom. Im SN-Gespräch gerät der Kunstexperte und Rom-Kenner beinahe ins Schwärmen von der überwältigenden Bildsprache der Pietà. "Heute erleben wir, wie sehr der Kampf der Wörter und der ideologischen Phrasen entzweit und spaltet. Ich dagegen bin überzeugt, dass ein Rechtsradikaler und ein Linksradikaler besser miteinander umgehen können, wenn sie mit offenen Augen und verständigem Geist die Pietà von Michelangelo betrachten. In dem wunderschönen Gesicht der Madonna deutet sich ein ganz leichtes Lächeln an. Das kann man nur erklären, wenn diese Madonna einen Sinn des Lebens über den Tod hinaus erahnt." Elke Heidenreich, die das Vorwort zum Buch "Der Sinn des Lebens" geschrieben hat, erzählt davon, wie sie als 16-Jährige die Pietà von Michelangelo zum ersten Mal gesehen hat. Sie sei so erschüttert gewesen, dass sie in Tränen ausgebrochen sei. Ein Wärter habe sie angesprochen, ob er helfen könne. Dann habe er verständnisvoll gemeint: "ah, Michelangelo …".

Wie aber geht die Zartheit dieser Pietà, die Michelangelo mit 24 Jahren geschaffen hat, mit der überwältigenden Pracht des Petersdoms zusammen, diesem Inbegriff von weltweiter Macht und Herrlichkeit des Papsttums? "Macht ist ambivalent", meint Manfred Lütz. "Man kann Macht ausüben, um Verbrechen zu begehen, aber man kann Macht auch ausüben, um das Gute zu tun. Wir hoffen ja alle, dass NGOs wie zum Beispiel Amnesty International auch Macht haben, um sinnvolle Ideen zu vermitteln." Der Petersplatz und der Petersdom symbolisierten Internationalität im positiven Sinne, dass eben nicht nur so mancher Megakonzern internationale Macht hat, sondern auch eine Institution, die im Kern die Nächstenliebe predigt. "Dazu kommt die Erfahrung der Gemeinschaft. Wenn man in einer friedlich vereinten Menge von Menschen aus aller Welt steht, kann das schon berühren." In Rom gehöre dazu aber immer auch die andere Seite, die gewaltige Botschaft des Jüngsten Gerichts, die Michelangelo den Päpsten in ihrer Wahlkapelle entgegenschleudert: Eure Macht ist euch geliehen. Ihr Sinn erfüllt sich nur dann, wenn sie zum Wohl der Menschen angewendet wird.

Sich nicht überwältigen lassen von der digitalen Bilderflut, sondern sich berühren lassen von allergrößter Kunst, die sich in Bildern, Skulpturen und auch in der Architektur zeigt - das legt Manfred Lütz den Rom-Besucherinnen und -Besuchern ans Herz. Etwa im Pantheon mit seiner imposanten Kuppel, die unter anderem zum Vorbild für die Kuppel der Hagia Sophia in Konstantinopel wurde, der Hauptkirche des Byzantinischen Reichs. Die Höhe entspricht exakt dem Durchmesser und die Höhe des unteren Raums exakt der Höhe des reinen Kuppelraums, sodass die Kuppel, nach unten zur Kugel ergänzt, genau in der Mitte den Boden berühren würde. "Auf diese Weise hat das allen Göttern geweihte Pantheon etwas Mystisches, etwas, das die Seele erhebt, wenn man aufschaut zu jener runden Öffnung in der Mitte der Kuppel, in die der Himmel und auch aller Regen des Himmels frei in das Universum dieses einzigartigen Raumes eindringen." Hier, im Tempel für "alle Götter", kommen so Himmel und Erde in Berührung. Der deutsche Kunsthistoriker Leo Bruhns hat in seinem Standardwerk über die Kunst der Stadt Rom in dieser Öffnung der Kuppel sogar eine Ahnung des aufkeimenden Monotheismus gesehen. Wenn das gleißende Licht der südlichen Sonne das Pantheon flutet, könnte man das empfinden …

Höchster Sinn und pralles Leben - beidem begegnet man in Rom an allen Ecken und Enden. Ganz weltlich am Trevibrunnen aus dem 18. Jahrhundert. "Hier sieht man schon die Oberflächlichkeit des ausgehenden Barock. Man sieht aber auch die Sinnlichkeit, die romanische Freude am Diesseits, die Freude an der Fülle des Wassers, an der Fülle des Lebens", erläutert Lütz. "Es ist eine Zeit, in der man das Leben liebte und feierte. Eine Zeit, in der der Sinn des Lebens auch im Diesseits lag." Das Leben lieben und genießen, was uns Erdbewohnern nördlich der Alpen so sehr am Italienischen gefällt - auch das ist Rom.

Lorenzo Bernini hat das in der Vision der Teresa von Ávila zum Ausdruck gebracht, Hingegossen in Ekstase liegt die Heilige in ihren Ordensgewändern da und wird von einem Engel mit einem güldenen Pfeil ins Herz getroffen. "Dass der Mensch immer zugleich ein sinnliches und geistiges Wesen ist und dass daher eine Religion, die eines von beiden unterdrückt, nicht wahr sein kann, sieht man in dieser heiligen Teresa von Bernini", sagt Manfred Lütz.

Dem Sinn des Lebens in Rom nachzuspüren ist ein Wechselbad der Gefühle, ist heiß und kalt, himmlisch und weltlich, vergeistigt und sinnlich. Manfred Lütz, ganz Psychotherapeut und Theologe, meint, "Wissen bildet nicht, Sehen und Verstehen bilden." Und so hat er kein römisch-dogmatisches Lehrbuch über den Sinn des Lebens geschrieben. Er zeigt die Stadt der Sinn-Künstler, die Augen und Herzen öffnet. Mehr braucht es nicht für eine römische Suche nach dem Sinn des Lebens.

Manfred Lütz: "Der Sinn des Lebens. Mit einem Geleitwort von Elke Heidenreich", 368 S., 155 Farbfotos, Hardcover 31,50 Euro, Kösel 2024. Eine imposante historische, kunsthistorische, religionsgeschichtliche Sinnreise nach Rom.
Buchpräsentation mit dem Autor im Gespräch mit Kardinal Christoph Schönborn und Barbara Wussow: Mittwoch, 24. April, 19.00 Uhr, Dominikaner, Postgasse 4, 1010 Wien.
Information zur Stadt:www.turismoroma.it/de

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