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Griechenland heißt Gastarbeiter willkommen

In den 1960er-Jahren zog es Griechen zu Hunderttausenden in den Westen. Jetzt erlebt das Land sein eigenes Wirtschaftswunder - und sucht im Ausland nach Arbeitskräften.

Griechenlands Reisebranche erwartet 2024 einen neuen Rekord.
Griechenlands Reisebranche erwartet 2024 einen neuen Rekord.

Griechenlands Reisebranche erwartet 2024 einen Rekord. Die Buchungen liegen zehn Prozent über dem Vorjahresniveau. Aber wer soll den Gästen die Betten machen, wer das Essen servieren? Schon 2023 blieben in den Hotels 53.229 von 250.000 Stellen unbesetzt. Heuer könnten bis zu 65.000 Beschäftigte fehlen, fürchtet Giorgos Hotzoglou, Vorsitzender der Tourismus-Gewerkschaft POEET.

Wie sich die Zeiten ändern: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts suchten griechische Auswanderer Arbeit in Westeuropa. Allein in Deutschland waren es geschätzt 800.000 Griechinnen und Griechen, die am Wirtschaftswunder mitarbeiteten. Jetzt erlebt Griechenland selbst einen Aufschwung. Voriges Jahr wuchs die Wirtschaft vier Mal so schnell wie der Durchschnitt der EU-Staaten. Für dieses Jahr erwartet die EU-Kommission in Griechenland drei Mal so viel Wachstum wie im EU-Mittel.

Aber der Arbeitskräftemangel wird zu einem immer größeren Problem, nicht nur im Tourismus, sondern auch auf dem Bau und in der Landwirtschaft. Arbeitgeber melden aktuell bei der staatlichen Arbeitsverwaltung rund 400.000 freie Stellen. Zur Einordnung: Die Gesamtzahl der Erwerbstätigen beläuft sich auf 4,2 Millionen. Die konservative Regierung verhandelt jetzt mit Staaten in Osteuropa, Asien und Nordafrika über das Anwerben von Gastarbeitern. Der Arbeitskräftemangel überrascht auf den ersten Blick, weil Griechenland nach Spanien die zweithöchste Arbeitslosenquote in der EU aufweist. Sie lag im Februar bei elf Prozent. Dabei handelt es sich allerdings zum Großteil um schwer zu vermittelnde Langzeitarbeitslose. Beides, die hohe Arbeitslosigkeit und der Arbeitskräftemangel, sind Spätfolgen der Staatsschuldenkrise, die Griechenland in den 2010er-Jahren in die tiefste Rezession der Nachkriegsgeschichte trieb. 2013 erreichte die Arbeitslosenquote 28 Prozent. Damals wanderten rund 600.000 überwiegend junge Griechinnen und Griechen aus, weil sie in ihrer Heimat keine Zukunft sahen. Die Emigration verschärfte die ohnehin ungünstige demografische Entwicklung. Die Zahl der Geburten fiel seit 2010 um 36 Prozent. Bis 2040 wird Griechenland eine halbe Million Arbeitskräfte verlieren, prognostizieren Ökonomen. Die Regierung will den Bevölkerungsschwund mit höheren Babyprämien, Steuervergünstigungen und staatlich subventionierten Immobilienkrediten für junge Familien stoppen. Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt werden diese Programme aber erst in Jahrzehnten zeigen.

So lange können die Unternehmen nicht warten. Um die Engpässe zu lindern, sucht die Regierung Arbeitskräfte im Ausland. Das erste Anwerbeabkommen mit Indien ist bereits unterzeichnet. Gespräche laufen mit Georgien, Armenien, Moldau sowie mit den Philippinen, Bangladesch, Vietnam und Ägypten. In einer ersten Phase geht es um die Anwerbung von rund 40.000 Arbeitskräften. Sie sollen befristete Arbeitsverträge und Aufenthaltsgenehmigungen von bis zu zwölf Monaten erhalten, mit der Möglichkeit einer Verlängerung.

Griechenlands Migrationsminister Dimitris Kairidis will auch irreguläre Migranten in den Arbeitsmarkt integrieren: Wer seit mindestens drei Jahren in Griechenland lebt, kann eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, sofern er einer geregelten Beschäftigung nachgeht. Das Angebot richtet sich an geschätzt 300.000 Migranten, die sich derzeit illegal im Land aufhalten.

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