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Arbeitsminister Kocher im SN-Gespräch: "Alle müssen anpacken"

Martin Kocher sieht keinen Bedarf, an den Regeln für die Arbeitszeit etwas zu ändern.

Arbeitsminister Martin Kocher sieht gute Chancen, Teilzeitbeschäftigte dazu zu bewegen, mehr zu arbeiten, wenn die Rahmenbedingungen passen.
Arbeitsminister Martin Kocher sieht gute Chancen, Teilzeitbeschäftigte dazu zu bewegen, mehr zu arbeiten, wenn die Rahmenbedingungen passen.

Die Dekarbonisierung und Digitalisierung der Wirtschaft sei mit einem stetig sinkenden Arbeitsvolumen nicht zu schaffen, sagt Kocher.

Herr Minister, die Industrie schlägt eine 41-Stunden-Woche vor. Ist es nötig, die wöchentliche Arbeitszeit zu verlängern? Martin Kocher: Die jetzigen gesetzlichen Arbeitszeitregeln sind gut. Es ist und war nie eine Veränderung angedacht. Niemand aus der Regierung hat einen diesbezüglichen Vorschlag gemacht, weder die 40 Wochenstunden im Gesetz zu reduzieren, noch sie auszuweiten. Wir haben in den Kollektivverträgen viel Flexibilität, das ist gut. Worüber wir reden sollten, ist, wie wir es schaffen, dass das Arbeitsvolumen in Österreich nicht weiter sinkt, weil die Tendenz zur Teilzeit die gestiegene Beschäftigung überkompensiert hat. Mit sinkendem Arbeitsvolumen haben wir Probleme, unseren Wohlstand aufrechtzuerhalten. Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, damit Menschen in Teilzeit, die Vollzeit arbeiten wollen, das können. Da geht es um gute Kinderbetreuung, aber auch Anreize, die mit dem Aufstocken verbunden sind, Stichwort Lohnnebenkosten. Plakative Vorschläge dienen einer sachlichen Diskussion nicht.

Das gilt auch für den Gegenvorschlag einer generellen Arbeitszeitverkürzung? Es gibt viel Flexibilität in den Kollektivverträgen, aber eine generelle gesetzliche Reduktion der Arbeitszeit ist nicht umsetzbar. Das wissen mittlerweile alle, auch die SPÖ, die das vorgeschlagen hat. Wie soll man Schulen, Kindergärten, die Gesundheitsversorgung aufrechterhalten, wenn man die Arbeitszeit um 20 Prozent reduziert? Das geht nicht.

Wenn beide Ansätze falsch sind, wie löst man das Problem, dass es in der Wirtschaft zu wenig Arbeitskräfte gibt? Wir haben bereits Schritte gesetzt, aber angesichts der Demografie wird es in den nächsten fünf bis zehn Jahren weitere geben müssen, so ehrlich muss man sein. Es ist ein ständiger Prozess, Arbeit attraktiv zu machen, die Abgaben darauf zu senken, die Kinderbetreuung auszubauen, in Gesundheitsvorsorge zu investieren, damit Menschen bis zur regulären Pension gesund arbeiten können. Es geht auch darum, das Arbeiten über das reguläre Pensionsalter hinaus attraktiv zu gestalten. Und darum, das Zuwandern von Fachkräften über die Rot-Weiß-Rot-Karte und aus der EU zu forcieren. All das stand in den vergangenen fünf Jahren so stark im Fokus wie noch nie, weil es erste Anzeichen des demografischen Wandels gab, der sich in den nächsten fünf Jahren noch verstärken wird.

Sie sagen, es wurden schon Anreize gesetzt, auch in Ihrem Haus. Wirken die Maßnahmen? Die spezifischen Maßnahmen, etwa eine Weiterbildungsoffensive für Arbeitslose, greifen. Aber entscheidend sind die beiden großen Blöcke - der raschere Ausbau der Kinderbetreuung mit 4,5 Mrd. Euro, denn rund ein Drittel der Teilzeitbeschäftigten hat Kinderbetreuungspflichten, das sind vor allem Frauen. Der zweite Punkt ist die Entlastung der Arbeit von Steuern und Abgaben. In dieser Legislaturperiode lag der Schwerpunkt auf den Steuern, mit der Abschaffung der kalten Progression und der ökosozialen Steuerreform. Ein Drittel der unselbstständig Erwerbstätigen zahlt damit keine Einkommensteuer mehr. Will man erreichen, dass noch mehr netto vom brutto bleibt, geht das über die Lohnnebenkosten, die man etappenweise senken kann.

Das ist für Arbeitnehmervertreter ein Anschlag auf den Sozialstaat, weil damit Sozial- und Familienleistungen finanziert werden. Muss man dann Teile anders finanzieren? Da muss man differenzieren. Es ist klar, dass die Leistungen nicht angetastet werden sollen. Wenn man das in Etappen macht, geht das ohne große Gegenfinanzierung. Wir haben eine Reduktion um 0,5 Prozentpunkte pro Jahr vorgeschlagen, das sind rund 800 Mill. Euro. Bis zu ein Drittel finanziert sich selbst, weil mehr gearbeitet wird. Die übrigen rund 500 Mill. Euro kann man über strikten Budgetvollzug und Einsparungen in der Arbeitslosenversicherung machen, weil die Arbeitslosigkeit in den nächsten zehn Jahren strukturell sinken wird. Andere Leistungen, etwa aus dem Familienlastenausgleichsfonds, muss man aus dem allgemeinen Steuertopf gegenfinanzieren.

Neben der Demografie bremst der Trend, freiwillig weniger zu arbeiten, das Arbeitskräfteangebot. Wie bekommt man das in den Griff? Das gibt es bei jüngeren Leuten mit höherer Bildung, das kann sich aber rasch ändern. Das kann die Politik allein nicht lösen, das ist eine gesellschaftliche Debatte. Betriebe müssen sinnstiftende Jobs anbieten und junge Menschen überzeugen, dass man sich in der Arbeit verwirklichen kann, ohne sich völlig auszupowern. Wir werden die Transformation der Wirtschaft in Richtung Digitalisierung und Dekarbonisierung nicht schaffen, wenn nicht alle mitmachen. Alle müssen anpacken. Aber nachdem auch die Jungen dort hinwollen, bin ich zuversichtlich, dass man sie überzeugen kann, dafür mehr als Teilzeit zu arbeiten.

Aber sollte sich der Abwärtstrend beim Arbeitsvolumen fortsetzen, wäre das eine Gefahr für den Wohlstand im Land? Wird weniger gearbeitet, muss man umso produktiver sein. Aber in der Vergangenheit war das Produktivitätswachstum nicht berauschend, daher sehe ich nicht, wie das kompensiert werden kann. Wenn das nicht gelingt, sinkt der Wohlstand.

Die Gewerkschaft verweist auf große Produktivitätszuwächse in der Vergangenheit. Niemand kann sagen wie sich die Produktivität künftig entwickelt. Man kann Produktivitätsanstiege auf zwei Arten weitergeben, man kann höhere Löhne zahlen oder die Arbeitszeit reduzieren. Ein Teil wurde in den letzten Jahrzehnten über höhere Löhne weitergegeben, aktuell ist die Lohnquote, der Anteil der Löhne an der Wirtschaftsleistung, so hoch wie seit 20 Jahren nicht. Daher existiert der Spielraum nicht, den jene, die für Arbeitszeitverkürzungen eintreten, vorgeben.

Im Dienstleistungssektor, der für Österreichs Volkswirtschaft eine große Rolle spielt, ist der Spielraum für höhere Produktivität aber doch sehr begrenzt? Gemeinhin ist dort das Produktivitätswachstum geringer. Das muss nicht so bleiben, da kann Technologie wie die künstliche Intelligenz helfen. Mit Automatisierung und Digitalisierung kann man den Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung teilweise kompensieren, im Dienstleistungsbereich, aber auch in der Produktion. Dadurch ist es möglich, trotz höherer Löhne in Europa wettbewerbsfähig zu bleiben.

Der Arbeitsmarkt hat sich lange als robust erwiesen. Jetzt schlägt die Krise aber durch. AMS-Chef Kopf hat sich zuletzt über die hohe Arbeitslosigkeit besorgt gezeigt. Wie beurteilen Sie die Lage? Bisher sind die Effekte der schlechten Konjunktur noch relativ moderat. Aber seit die Prognosen für 2024 nach unten revidiert wurden, auch in Deutschland, geraten einzelne Unternehmen in Probleme und müssen Personal freisetzen. Sie haben damit lange gewartet, weil alle wissen, dass man die Arbeitskräfte im nächsten Aufschwung wieder braucht. Dennoch haben wir 2024 noch immer die viertniedrigste Arbeitslosenrate seit 2000. Aber der Arbeitsmarkt hinkt der Konjunktur in der Industrie in der Regel nach. Daher müssen wir beim Vermitteln weiter alles tun, damit die Arbeitslosigkeit nicht noch stärker steigt.

Was ist Ihre Botschaft an die arbeitenden Menschen in Österreich zum bevorstehenden Tag der Arbeit? Danke an alle, die als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Leistung erbringen. Wir haben in Österreich sehr viele Menschen, die extrem viel arbeiten, auch Überstunden machen müssen, um Personalengpässe auszugleichen - etwa im Gesundheitsbereich, im Tourismus, auch in der Industrie - daher auch der Wunsch, die Steuerfreiheit für Überstunden noch auszuweiten.

Ich bin froh, in einem Land mit vielen motivierten Arbeitskräften zu leben, das laut einer Studie von Boston Consulting unter 180 Ländern auf Platz elf der beliebtesten Arbeitsstandorte der Welt liegt. Leute kommen gerne nach Österreich, weil die Rahmenbedingungen gut, und die Löhne und die Lebensqualität hoch sind.

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