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Viele Tote bei russischem Raketenangriff auf Tschernihiw

Ein russischer Raketenangriff auf die Großstadt Tschenihiw im Norden der Ukraine hat am Mittwoch viele Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert. Nach Angaben der Gebietsverwaltung ist die Zahl der Toten bis zum späten Nachmittag auf 17 gestiegen. Zwei Menschen seien im Krankenhaus ihren Verletzungen erlegen. Zudem gibt es mehr als 60 Verletzte. Darunter sind auch mehrere Kinder.

Mehrere Gebäude wurden stark beschädigt
Mehrere Gebäude wurden stark beschädigt

Bei dem Angriff seien drei Raketen in der Nähe des Stadtzentrums eingeschlagen, hatte der Militärgouverneur der Region, Wjatscheslaw Tschaus, kurz nach der Attacke per Video in seinem Telegram-Kanal mitgeteilt. Er sprach von einem fürchterlichen Morgen. Später wurde bekannt, dass Russland für den Beschuss das mobile Raketensystem Iskander benutzt haben soll. Die Reichweite des Systems liegt bei etwa 500 Kilometern.

Nach offiziellen Angaben wurde ein Hotel, das Kreiskrankenhaus, das Hauptgebäude der Universität und mehrere mehrstöckige Wohngebäude getroffen. Zudem sind viele Autos in Flammen aufgegangen. Nach Angaben von Militärverwalter Dmytro Bryschinskyj wurden 24 Häuser und 252 Wohnungen beschädigt.

Die Rettungskräfte suchten unter den Trümmern nach weiteren Opfern der Attacke. Die Polizei sprach zunächst von sechs Vermissten. Wegen der vielen Verletzten haben die lokalen Gesundheitsbehörden die Bevölkerung zur Blutspende aufgerufen.

Das russische Verteidigungsministerium ging in seinem täglichen Lagebericht nicht näher auf den Raketenschlag in Tschernihiw ein. Allgemein hieß es dort lediglich, dass die Luft- und Raketenstreitkräfte ukrainische Einheiten und Militärtechnik bekämpft hätten. Derweil sagte der ehemalige Abgeordnete des ukrainischen Parlaments Werchowna Rada, Ihor Mossijtschuk, bei TikTok, dass in dem vom russischen Militär beschossenen Hotel ukrainische Soldaten einquartiert gewesen seien. Offiziell wurden diese Angaben in Kiew nicht bestätigt.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Hinterbliebenen der Opfer sein Beileid ausgesprochen. Zugleich erneuerte er angesichts der Tragödie seine Forderung nach einer Stärkung der Flugabwehr. "Das wäre nicht passiert, wenn die Ukraine ausreichend Flugabwehr erhalten hätte und wenn die Welt entschlossen genug gewesen wäre, dem russischen Terror entgegenzutreten", schrieb der Staatschef am Mittwoch bei Telegram.

Den Ukrainern fehle es bei ihrem Kampf nicht an Entschlossenheit, fügte Selenskyj hinzu. "Es braucht eine ausreichende Entschlossenheit unserer Partner und eine ausreichende Unterstützung, die diese Entschlossenheit widerspiegelt", mahnte der Präsident.

Schon in den vergangenen Tagen und Wochen hatte Selenskyj immer wieder darauf verwiesen, dass die Russen durch die schleppende Waffenhilfe des Westens im Krieg immer mehr die Oberhand gewännen. Durch fehlende Flugabwehrsysteme und -munition zerstörten die Russen inzwischen viele wichtige Objekte in der Ukraine, sagte Selenskyj mit Blick auf das in Ruinen liegende Trypillja-Wärmekraftwerk bei Kiew. Daneben sei das Defizit bei der Artilleriemunition kritisch, wo die Russen inzwischen das Zehnfache dessen verschössen, was die Ukrainer zur Verfügung hätten.

In Reaktion auf den Angriff startete die deutsche Regierung eine neue Initiative zur Stärkung der ukrainischen Luftabwehr mit dem Titel "Immediate Action on Air Defense". Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius hätten sich an Partner gewandt, teilten Sprecher beider Ministerien am Mittwoch in Berlin mit. Signale für eine Unterstützung der deutschen Initiative kamen unmittelbar aus den Niederlanden, Dänemark und Tschechien. Die drei Länder prüften, was sie zur Unterstützung leisten könnten, sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte nach einem Treffen mit seinen Amtskollegen.

Tschernihiw liegt etwa 150 Kilometer nördlich von Kiew unweit der Grenze zu Russland. Als im Februar 2022 russische Militärs in die Ukraine einmarschierten, wurde auch Tschernihiw angegriffen. Den Angreifern gelang es aber nicht, die Stadt einzunehmen. Tschernihiw wurde durch intensiven Beschuss und eine Blockade aber schwer in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem Rückzug russischer Truppen aus dem Gebiet ist die Stadt mehrfach zum Ziel russischer Angriffe aus der Luft geworden.

Die Zahl bestätigter russischer Gefallener im Krieg gegen die Ukraine liegt indes einer Analyse der britischen Rundfunkanstalt BBC zufolge inzwischen höher als 50.000. Das geht aus Zählungen der russischsprachigen BBC-Redaktion, der unabhängigen Mediengruppe Mediazona sowie Freiwilliger hervor, hieß es in einem am Mittwoch veröffentlichten BBC-Bericht. Die tatsächliche Zahl dürfte westlichen Schätzungen zufolge jedoch mehr als doppelt so hoch sein, da viele Todesfälle nicht bestätigt werden können.

Ausgewertet wurden demnach Satellitenbilder von Friedhöfen, die teils mit Bildern und Videos vom Boden verifiziert wurden, offizielle Berichte, Zeitungen und soziale Medien. Nicht mitgezählt worden seien die Toten unter den prorussischen Kämpfern aus den von Moskau besetzten ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk. Eine aktuelle offizielle Zahl über die Höhe der russischen Verluste gibt es dem BBC-Bericht zufolge nicht.

Einer der Gründe für die hohen Verluste der russischen Invasionstruppen in der Ukraine ist nach Einschätzung von Experten eine sogenannte "Fleischwolf"-Taktik, bei der die gegnerischen Linien mit einer großen Zahl von Angreifern überrannt werden sollen. Diese habe sich jedoch als sehr verlustreich herausgestellt und nur geringe Gebietsgewinne gebracht.

Die Ukraine hat Angaben Kiews zufolge bis Februar dieses Jahres 31.000 Soldaten verloren. Die wahre Zahl dürfte nach Einschätzung von US-Geheimdiensten jedoch auch höher sein, hieß es in dem BBC-Bericht.

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