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Ergotherapeuten und Angehörige fordern Einbindung beim Thema ME/CFS

IG Pflegende Angehörige: "Das größte Problem ist, dass es nicht als somatische Erkrankung anerkannt wird"

 Am Freitag startet die „Konsensuskonferenz“ zum Thema ME/CFS.
Am Freitag startet die „Konsensuskonferenz“ zum Thema ME/CFS.

Wien APA

Der Verband der Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen sowie die Interessensgemeinschaft Pflegender Angehöriger fordern die Einbindung bei der sogenannten "Konsensuskonferenz" zum Thema ME/CFS, die die Österreichische Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) am Freitag abhält. Man habe keine Einladung erhalten, sagten die Präsidentinnen der beiden Vereinigungen zur APA. Zuvor hatte schon der Verband der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten die Einbindung gefordert.

Die Präsidentin von ergotherapie austria, Marion Hackl, zeigte sich gegenüber der APA "verwundert" darüber, dass der Verband keine Einladung zur Konsensuskonferenz erhalten hat. Man schließe sich der Forderung von physio austria an, bei derartigen Entscheidungsfindungsprozessen eingebunden zu werden, sagte sie. Wenn man den Patienten wirklich helfen will, dann gehe das nur, wenn alle zusammenarbeiten. Die von ME/CFS und anderen postviralen Erkrankungen betroffenen Patienten müssten vor allem lernen, mit ihren beschränkten Ressourcen umzugehen, wies die Präsidentin auf die oftmalige Belastungsintoleranz der Betroffenen hin.

Ähnlich lautet die Forderung von Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der IG Pflegende Angehörige. "Wir würden uns sehr gerne einbringen, sind aber nicht eingeladen", sagte sie im APA-Gespräch. Sie wies auf die oftmalige Fehldeutung der Krankheitsbilder als "psychisch" hin: "Das größte Problem ist, dass es nicht als somatische Erkrankung anerkannt wird. Es ist keine psychosomatische oder psychische Erkrankung."

Darüber betonte die Präsidentin, dass Betroffenen oftmals Probleme bei der Anerkennung ihrer Pflegebedürftigkeit hätten: Bei der Pflegegeldeinstufung werde oftmals "nicht korrekt eingestuft". Es brauche hier dringend bessere Schulung der Gutachter. "Eigentlich müsste jeder Gutachter nachweisen können, dass er mindestens eine Schulung gemacht hat." Der Pflegebedarf werde meist "total fehleingeschätzt".

Die Betroffenen und damit die pflegenden Angehörigen seien mit höchst komplexen und vielen Beschwerden konfrontiert. "Auf der einen Seite gibt es keine Versorgung, keine ausreichenden Ambulanzen" und andererseits würden die Rehabilitations-Angebote "ganz oft nicht dem entsprechen, zu dem die Betroffenen mit ihrer Erkrankung fähig sind", wies Meinhard-Schiebel auf das Problem der schweren Belastungs-Erholungsstörung PEM hin, die laut Experten als Kardinalsyndrom von ME/CFS gilt.

PEM ist mögliche Folge einer postviralen Erkrankung wie etwa einer Covid 19-Infektion. Körperliche und kognitive schrittweise Aktivierung wirkt - entgegen vielen anderen Erkrankungen - nicht unterstützend, sondern hat einen negativen Effekt. Die Überschreitung der individuellen Belastungsgrenze kann zu einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes führen, der sofort oder mit zeitlicher Verzögerung (ca. zwölf bis 48 oder 72 Stunden) eintreten kann.

Ein großes Problem bei der Pflegegeld-Begutachtung sei, dass das Pflegegeld für Betroffene oft abgelehnt werde oder nur Stufe 1 vergeben werde, betonte Meinhard-Schiebel. Viele müssten dann den Klagsweg beschreiten, "das ist eine immense Herausforderung, vor allem, wenn man eine postvirale Erkrankung hat." Das Problem sei nicht nur die geringere Geldleistung, sondern dass viele Ansprüche erst ab Pflegestufe 3 geltend gemacht werden können - etwa Unterstützungsleistungen für pflegende Angehörige wie Pflegekarenz oder der Ankauf von Unterstützungsmaterialien. "Die Familien bleiben mehr oder minder alleine mit der Situation."

Pflegende Angehörige seien mit einer Erkrankung konfrontiert, bei der sie "nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen", und auch keine ärztliche Betreuung haben - und die Ärzteschaft auch nicht so gut informiert ist, dass sie mit den Symptomen umgehen kann, wies Meinhard-Schiebel auf das nach wie vor fehlende Wissen über post-akute Infektionssyndrome (PAIS) wie etwa ME/CFS, Long oder Post Covid hin. Die Krankheit habe "bis zu 200 verschiedene Symptome".

Pflegenden Angehörigen würden oft unter enormen psychischen und physischem Druck stehen und hätten oftmals keine Perspektive, da man nicht wisse, wie sich die Erkrankung entwickeln wird. Oft würden auch jugendliche Menschen betreut "und auch oft Kinder". Die Betroffenen könnten oft nicht aufstehen und seien bettlägerig, würden aber dennoch zu Gutachtern hinbestellt - und das, obwohl laut Gesetz in diesen Fällen die Gutachter Hausbesuche machen müssten, so die Präsidentin.

Auch finanziell seien die Betroffenen stark belastet: Diese würden ihre Reserven aufbrauchen, um teils teure Behandlungen zuzukaufen.

Phsyio Austria hatte bereits Ende März ähnlich argumentiert: Man sehe oft unsachgemäße Behandlungen, die eine starke Zustandsverschlechterung (sog. "Crash") zur Folge hätten, sagte damals die Wiener Landesverbandsvorsitzende Sabine Schimscha zur APA. Hier brauche es Aus- und Fortbildung in allen Berufsgruppen. Auch sie forderte eine Einbindung beim Konsensustreffen.

Die interdisziplinäre "Konsensuskonferenz", zu der die ÖGN geladen hat, findet am Freitagnachmittag und -abend in Wien statt, die Veranstaltung ist nicht medienöffentlich. Ziel sei die Erstellung einer "Konsensus-Stellungnahme", die "wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen" für Betroffene, Ärzte und Ärztinnen, Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit bieten soll. Zum konkreten Programm und den eingeladenen Teilnehmern gab man sich seitens der Gesellschaft im Vorfeld zugeknöpft, auch eine Stellungnahme wollte man vor der Konferenz nicht abgeben. Nach dem Treffen soll es aber eine Presseinformation geben, hieß es seitens der ÖGN gegenüber der APA.

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