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Antarktis: Forscher enthüllen abwechslungsreiche Landschaft unter Eis

Neue Daten sollen Einfluss-Modelle von riesigem Thwaites-Gletscher in der Westantarktis auf den Meeresspiegel verbessern. Viele Forscher sehen unmittelbaren Kollaps des Eisgiganten nicht bevorstehen.

Bei einem Pressegespräch im Rahmen der Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU) in Wien war am Dienstag auch die Antarktis (Symbolbild) ein großes Thema.
Bei einem Pressegespräch im Rahmen der Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU) in Wien war am Dienstag auch die Antarktis (Symbolbild) ein großes Thema.

Der Thwaites-Gletscher im westlichen Teil der Antarktis gilt als Schlüsselfigur im vom Klimawandel vorangetriebenen Anstieg des Meeresspiegels. Seine Fläche entspricht in etwa der des US-Bundesstaats Florida. Bei einem Pressegespräch im Rahmen der Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU) in Wien offenbarten deutsche und britische Forscher neue Daten zum abwechslungsreichen Gletscher-Untergrund mit Hügeln, flachen Landschaften und Seen.

Wegen seiner globalen Bedeutung für die aktuelle und vor allem künftige Erhöhung des Meeresspiegels wird der Thwaites-Gletscher auch "Weltuntergangs-Gletscher" ("doomsday glacier") genannt. Aktuell liege man bei einem Anstieg von rund vier Millimetern pro Jahr, historische Daten zeigen aber, dass auch das zehnfache dieses Wertes erreicht werden könnte, wenn zum Beispiel der Thwaites-Eisstrom beginnen würde, katastrophal viel an Masse zu verlieren, so die Wissenschafter am Dienstagvormittag.

Daher sei es extrem wichtig, bessere Prognosen zur Entwicklung seiner Fließgeschwindigkeit über Land und zur Abschmelzrate jener Eismassen, die ins Meer hinein ragen, zu entwickeln. Dazu gingen Experten unter der Leitung von Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut und dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (Deutschland) und Kollegen vom British Antarctic Survey (BAS) in den vergangenen Jahren daran, in aufwendigen Messkampagnen die Topografie des Untergrunds so detailliert zu vermessen wie noch nie zuvor. Das geschah im Rahmen der "International Thwaites Glacier Collaboration (ITGC).

Mit Hilfe von seismischen Messungen auf der Eisoberfläche blickte man tief in den Untergrund. So zeichneten die Wissenschafter mit Mikrofonen quasi den Nachhall von gezielten Sprengungen auf und erzeugten mit einer Metallplatte kleine Mini-Erdbeben. Je nachdem, wie der Schall dann vom mehr oder weniger festen Untergrund unter dem Gletscher reflektiert wird, lassen sich Rückschlüsse auf die Landschaft ziehen, erklärten die Wissenschafter. "Wir haben jetzt ein sehr gutes Datenset zum Boden unter dem Eis", so Eisen.

Virtuell zum Vorschein kamen so kilometerlange sanfte, nahezu flache Landstriche, die von teils auch hunderte Meter hohen Hügelketten durchzogen werden. In den Ebenen dominieren Sedimente und Flächen, an denen sich offenbar flüssiges Wasser oder Ablagerungen mit extrem hohen Flüssigkeitsgehalt angesammelt haben. Scheinbar gibt es mehrere unterirdische Seen - ein Phänomen, das sich vielerorts unterhalb des Eisschildes des Südkontinents manifestiert.

Während die felsigen und schroffen Hügelketten eher dazu führen, dass sich das Eis dort verdichtet und entsprechend langsamer gen Küstenlinie fließt, böten die lockereren Sedimente in den Ebenen kaum Widerstand. Die Regionen mit flüssigem Wasser verlangsamen den Eisfluss überhaupt nicht, so Eisen.

Ob die neuen Informationen nun als gute oder schlechte Nachrichten zu werten seien, traute sich der Glaziologe noch nicht zu beurteilen. Man müsse nun neue Modelle zur Fließgeschwindigkeit der riesigen Eismasse unter verschiedene Klimaszenarien entwickeln. Klar sei, dass Systeme wie diese extrem unterschiedlich auf vermeintlich kleine Differenzen reagieren. Ob die Erderhitzung in nächster Zeit 1,5 oder 2 Grad Celsius erreicht, könne etwa einen großen Unterschied dahingehend bewirken, ob bzw. wie rasch der Thwaites-Gletscher kollabiert, betonte Eisen.

In den vergangenen Jahren hat ein Team um Robert Larter vom BAS (Großbritannien) den Eisstrom auch vom Meer aus vermessen und dabei festgestellt, dass er vor dem 20. Jahrhundert kaum an Masse verloren hat. Mittlerweile ist er aber deutlich aus der Balance geraten. Der Masseverlust ist heute bereits um ein Vielfaches höher als noch in den 1980er Jahren, erklärte Larter. Trotz dieser besorgniserregenden Zunahme scheinen sich aber richtige Katastrophenszenarien mit einem sehr raschen Abschmelzen des riesigen Gletschers zumindest in nächster Zeit eher nicht zu bewahrheiten. Man müsse die Eismassen aber weiter sehr intensiv vom Festland und dem Meer aus beobachten, auch um Menschen besser zu informieren, die Küstennähe leben.

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