SN.AT / Panorama / Österreich

Mehr Menschen laut Statistik in absoluter Armutslage

Der Anteil der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten ist in Österreich mit 17,7 Prozent der Gesamtbevölkerung 2023 insgesamt im Vergleich zum Jahr davor (17,5 Prozent) beinahe gleich geblieben. Die Anzahl der Menschen in absoluter Armutslage ist allerdings gestiegen, wie die Statistik Austria am Donnerstag bekannt gab.

Zahl der Kinder und Jugendliche in absoluten Armutslagen verdoppelt
Zahl der Kinder und Jugendliche in absoluten Armutslagen verdoppelt

2023 gaben demnach 336.000 Personen (3,7 Prozent der Bevölkerung in Privathaushalten) in Österreich an, sich die Ausgaben des täglichen Lebens, die nach EU-Definition als Mindestlebensstandard gelten, nicht leisten zu können. Als erheblich materiell und sozial benachteiligt gilt, wer sich laut eigener Angabe mindestens sieben von 13 EU-definierten Merkmalen und Aktivitäten des täglichen Lebens nicht leisten kann ("absolutes Armutsmaß"), darunter etwa unerwartete Ausgaben in der Höhe von 1.370 Euro oder ein Urlaub pro Jahr. 2022 waren 201.000 Personen (2,3 Prozent) von dieser Armutslage betroffen.

Der Erhebung zufolge waren 88.000 Kinder und Jugendliche von absoluten Armutslagen betroffen, das entspricht mehr als einer Verdoppelung ihrer Anzahl gegenüber dem Jahr davor (2022: 36.000 Personen unter 18 Jahren). Bei den unter 18-Jährigen lag der Anteil der erheblich materiell und sozial Benachteiligten also bei 5,3 Prozent, bei älteren Personen ab 65 Jahren dagegen bei 1,9 Prozent. Das höchste Risiko haben demnach Personen in Einelternhaushalten mit einer Quote von 15,3 Prozent. Ebenfalls überproportional betroffen waren mit 8,5 Prozent Familien mit mindestens zwei Erwachsenen und drei oder mehr Kindern.

Neben diesen absoluten Armutslagen wird auch das Haushaltseinkommen als Maß herangezogen. Die Armutsgefährdungsschwelle für einen Einpersonenhaushalt wurde bei 1.572 Euro pro Monat ermittelt. Niedriges Haushaltseinkommen unter einer Schwelle von 60 Prozent dieses Medianwertes, hatten 2023 1.338.000 Personen oder 14,9 Prozent der Bevölkerung (die Veränderung gegenüber 2022 ist hier statistisch nicht signifikant). Diese Personen galten damit nach EU-Definition als armutsgefährdet, diese Kennzahl ermöglicht jedoch keine Aussagen darüber, inwieweit Haushalte mit ihrem verfügbaren Einkommen auch auskommen, betont die Statistik Austria.

Von jenen 336.000 Personen, für die der europäische Mindestlebensstandard nicht leistbar war, hatten 58 Prozent (194.000 Personen) ein relativ gesehen niedriges Haushaltseinkommen. Sie waren also sowohl erheblich materiell und sozial benachteiligt als auch ihrem Einkommen nach armutsgefährdet. Allerdings gab es auch 142.000 Personen, deren Einkommen zwar über der Armutsgefährdungsschwelle lag, die aber dennoch eine benachteiligte Lebensführung aufwiesen. Umgekehrt waren von den 1.338.000 Armutsgefährdeten 15 Prozent auch "erheblich materiell und sozial depriviert", der Rest (85 Prozent) musste nicht aus finanziellen Gründen auf mehrere übliche Güter und Aktivitäten verzichten.

Ein Risikofaktor ist geringe oder gar keine Erwerbstätigkeit: Mehr als die Hälfte (56 Prozent) derjenigen, die zwölf Monate oder länger arbeitslos waren, war armutsgefährdet, über ein Viertel (28 Prozent) war erheblich materiell und sozial benachteiligt.

Als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet gilt, wer entweder erheblich materiell und sozial benachteiligt, also von absoluter Armut betroffen ist, oder wessen Haushalt weniger als 60 Prozent des Medianeinkommen zur Verfügung hat oder nur im geringen Ausmaß ins Erwerbsleben eingebunden ist - wer also mindestens einer dieser drei Risikogruppen für soziale Ausgrenzung angehört. Nach der aktuellsten Befragung zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) traf Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung nach EU-Definition im Jahr 2023 auf 1.592.000 Personen (17,7 Prozent der Bevölkerung in Privathaushalten) zu. Darunter waren 376.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die Unterschiede zum Vorjahr sind laut Statistik Austria zu gering, um sie als statistisch gesicherte Veränderung zu werten.

"Insbesondere die hohe Inflation hat die Situation von armutsbetroffenen Menschen verschärft", meinte Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) in einer Aussendung und verwies auf von der Regierung gesetzte Maßnahmen. In den kommenden Jahren müsse man strukturelle Reformen angehen, die Armut in Österreich verhindern, forderte er einmal mehr eine Kindergrundsicherung.

Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) betonte in einem Statement, dass Österreich "die höchsten Familienleistungen in der EU" ausschütte. Eine Studie der EU-Kommission habe kürzlich auch gezeigt, dass es Österreich sehr gut gelinge, die Armutsgefährdungsquote durch Unterstützungsleistungen für Familien und Steuererleichterungen deutlich zu verringern.

SPÖ und FPÖ lassen währenddessen kein gutes Haar an der schwarz-grünen Regierung. Diese habe sich "in ihrem Programm groß die Halbierung der Kinderarmut in Österreich auf die Fahnen geheftet. Was passiert, ist das genaue Gegenteil: Heute leben mehr als doppelt so viele Kinder und Jugendliche in absoluter Armut als noch vor einem Jahr", monierte die stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende Eva-Maria Holzleitner, die Maßnahmen gegen die Teuerung wie ein Einfrieren der Mieten bis 2026 forderte. Für FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch sind die Zahlen eine "Schande". Sie bemängelte die "höchste Inflationsrate in Westeuropa, exorbitante Treibstoff- und Energiepreise und immense Lebensmittelkosten, verbunden mit Strafsteuern", die zu diesem Ergebnis führen würden.

Hilfsorganisationen reagierten mit Forderungen auf die neuen Daten, meist sehen sie einen Ausbau sozialstaatlicher Maßnahmen als Schlüssel. Eine Sozialstaatsreform will etwa die Caritas, sie fordert u.a. die Erhöhung der Ausgleichszulage für Pensionisten, eine Erhöhung der Nettoersatzquote im Bereich des Arbeitslosengeldes und eine Reform der Sozialhilfe. Ebenso wie die Caritas schlagen auch Diakonie und Samariterbund bei der Sozialhilfe ein System mit Mindeststandards vor. Die Ideen der Armutskonferenz reichen von mehr leistbarem Wohnraum und einem höheren Arbeitslosengeld bis zu einer Weiterentwicklung der Ende 2024 auslaufenden Stromkostenbremse - sie soll zu einer Energiegrundsicherung werden.

Das Rote Kreuz machte auf die Armutsgefährdung von Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen aufmerksam, Rot-Kreuz-Generalsekretär Michael Opriesnig forderte eine Reform des Pflegegeldes. Die Volkshilfe will wie Rauch mit einer Kindergrundsicherung Kinderarmut bekämpfen.

KOMMENTARE (0)