SN.AT / Leben / Wohnen

Was die Zersiedelung energietechnisch kostet

Durch eine vorausschauende Energieraumplanung können erhebliche Infrastrukturkosten eingespart werden. Ziel sind kompakte, funktionsgemischte Siedlungsgebiete mit energieeffizienten Strukturen.

Wohnen auf dem Land, arbeiten in der Stadt – dieser Trend ist in Österreich ungebrochen.
Wohnen auf dem Land, arbeiten in der Stadt – dieser Trend ist in Österreich ungebrochen.

Alle Experten sind sich einig: Um die vereinbarten Klimaziele zu erreichen, müssen jetzt klare Weichenstellungen erfolgen. Eine bedeutende Stellschraube für das Gelingen der Energiewende liegt ganz entscheidend im Bereich der Siedlungsentwicklung. Welche Effekte eine kluge Energieraumplanung hier haben kann, erläutert Raumplanungsexperte Gernot Stöglehner von der Boku Wien im Gespräch mit den "Salzburger Nachrichten".

Raumordnung ist für sich schon eine sehr komplexe Herausforderung. Was genau wird mit Energieraumplanung versucht, was sind die Ziele dieser Disziplin? Gernot Stöglehner: Primäres Ziel der Energieraumplanung ist es, die Energiewende mit raumplanerischen Mitteln zu unterstützen. Dabei geht es darum, die Energiewende nicht nur im Konsumverhalten zu denken, sondern auch räumliche Voraussetzungen miteinzubeziehen. Dass Menschen einerseits Energie sparen und sich andererseits auch mit erneuerbaren Energien versorgen können, wird durch räumliche Voraussetzungen maßgeblich mitbestimmt. Ein klassischer raumplanerischer Ansatz ist hier die Verdichtung eines Siedlungsgebietes nach innen, etwa durch Forcierung von Reihen- oder Mehrfamilienhausanlagen, anstatt der klassischen Bebauung mit Einfamilienhäusern. Durch die kompaktere Bauweise sinkt allein schon strukturell der Energieverbrauch, weil auf dieselbe Anzahl von Laufmetern Straßen- oder Kanallänge mehr Nutzer kommen. Das bringt enorme Effizienzgewinne! Andererseits geht es aber auch darum, neue energieeffiziente Raum- und Siedlungsstrukturen zu entwickeln. Wichtige Aspekte sind hier eine maßvolle Dichte und auch eine sogenannte Funktionsmischung.

Was ist unter dem Begriff Funktionsmischung zu verstehen? Funktionsgemischt bedeutet, dass gewisse Grundfunktionen wie z. B. Erwerbstätigkeit, Versorgung, Freizeit oder Bildung in engem räumlichen Kontext zueinander organisiert sein sollen. Das heißt nichts anderes, als dass verschiedene Nutzungen nach dem Prinzip Nähe erfolgen sollten - etwa Kindergarten, Schule oder Nahversorger im besten Fall fußläufig zur Wohnung erreichbar sind. Ziel ist auch, dass Siedlungsstrukturen so angelegt und organisiert sind, dass sie beispielsweise gut mit Fernwärme oder Abwärme versorgt werden können oder jeder anderen Form von leitungsgebundener Energie.

Energieeffiziente Raumstrukturen entstehen ja nicht von selbst. Sind es die bestehenden Strukturen, die planerisch die größten Herausforderungen darstellen? Das ist sicher richtig. Wir dürfen allerdings nicht davon ausgehen, dass sich diese Ziele von heute auf morgen realisieren lassen. Das alles sind Transformationsprozesse, die ihre Zeit brauchen. Dennoch: In den letzten 20 Jahren wurden in Österreich rund eine Million Wohnungen gebaut. Das zeigt eine doch ganz ordentliche Bewegung, und nun geht es darum, diese Dynamik sinnvoll zu steuern. Ein wichtiges Ziel besteht darin, dass wir von der grünen Wiese wegkommen. Bei diesem Thema treffen sich die Interessen der Energiewende im Übrigen auch mit jenen des Boden- und des Biodiversitätsschutzes. Alle diese Bestrebungen gehen in dieselbe Richtung, nämlich jener einer nachhaltigen Raumentwicklung. Es ist unglaublich wichtig, diese Entwicklung jetzt mit konkreten Maßnahmen einzuleiten: zum Beispiel Siedlungsränder nur noch in Einzelfällen zu erweitern, eine Verdichtung nach innen konsequenter zu forcieren, Gebäude zu sanieren und Leerstände besser zu nutzen.

Kann man sagen, dass Städte grundsätzlich effizientere Raumstrukturen haben als ländliche Gebiete? Als Prinzip würde ich das so nicht gelten lassen, weil das auch immer von der Kompaktheit der Ortschaften abhängt. Was sich aber sagen lässt, ist, dass sich die Energiewende in den Städten voraussichtlich auf der Ebene der Effizienz vollziehen wird. Dafür haben urbane Bereiche mehr Nachteile, wenn es darum geht, sich selbst mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Das können Städte im Allgemeinen nicht aus eigener Kraft. Die Herausforderungen für die ländlichen Gebiete bestehen umgekehrt darin, dass die Wege weiter sind, der öffentliche Nahverkehr oft schwächer ausgebildet ist und es sich daher oft schwieriger gestaltet, das Auto nicht zu nutzen.

Sie haben in einem früheren Interview einmal angesprochen, dass sich das Pkw-Aufkommen in Österreich seit der Ratifizierung des Kyotoprotokolls vervielfacht hat. Welche Normen braucht es für einen Richtungswechsel? Ein Teil dieses massiv höheren Verkehrsaufkommens ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass am falschen Platz gebaut wurde. Dazu kommt auch, dass in vielen Ortschaften in den letzten Jahrzehnten die Ortskerne funktionsentleert wurden und große Einkaufszentren an den Siedlungsrändern entstanden sind. Das hat unter anderem viel zusätzliches Verkehrsaufkommen befördert. Auch die Verkaufsflächen selbst sind immer größer geworden - Österreich liegt hier mittlerweile im europäischen Spitzenfeld! Es stellt sich natürlich auch die Frage, ob in Zeiten des Onlinehandels solche riesigen Verkaufsflächen überhaupt noch notwendig sind? Wichtig ist jetzt, Schritte für eine Transformation einzuleiten und Projekte zu initiieren, die eine Innenentwicklung konsequent fördern.

Wie energieintensiv sind Einfamilienhäuser? Ich muss vorausschicken, dass ich ganz sicher kein Gegner von Einfamilienhäusern bin. Fakt ist aber, dass frei stehende Einfamilienhäuser einen sehr viel höheren Energiebedarf haben als z. B. Reihenhäuser. Nicht, weil es keine energieoptimierten Gebäude sind, sondern weil die Kosten für die notwendige Infrastruktur einfach höher zu Buche schlagen. Straßenerschließung, Straßenerhaltung, längere Leitungen für Kanal, Wasser und Strom, Fernwärme und so weiter - all das erfordert zusätzliche Energie. Mit guten Reihenhauskonzepten, die wesentlich flächen- und energieeffizienter sind, kann man heute zudem mindestens dieselben, wenn nicht sogar höhere Wohnqualitäten erzielen als in frei stehenden Einfamilienhäusern. Vor allem durch geschlossene Bauweisen, also Innenhöfe, lassen sich sehr private Wohnqualitäten erreichen.

Wie geht man mit historisch gewachsener Zersiedelung künftig um? Könnten Energiegemeinschaften hier eine Lösung bieten? Gerade im salzburgerisch-tirolerischen Raum zeigt sich oft ein Streusiedlungscharakter als historische Siedlungsform. Auch bei diesen Weilern mit bäuerlichem Charakter besteht aber die Möglichkeit, kompakter zu bauen. Möglicherweise können ja leer stehende Nebengebäude revitalisiert und als Wohngebäude genutzt werden. Die Idee der Energiegemeinschaften bietet sicherlich auch einen guten Ansatz, um sich hier durch erneuerbare Energien gemeinschaftlich zu versorgen.

Was ist jetzt zu tun? Das Wichtigste ist, sich jetzt auf Siedlungsgrenzen zu einigen und diese verbindlich festzulegen. Dafür notwendig ist eine starke Regionalplanung, die ich grundsätzlich einfordere. Ich würde aber nicht so weit gehen, den Gemeinden die Flächenwidmung zu entziehen. Einerseits, weil Gemeinden demokratisch legitimierte Organe sind, andererseits, weil es auch viele kleinräumige Planungslösungen braucht, die man lokal abwägen muss. Diese Entscheidungen sind auf der Gemeindeebene gut aufgehoben. Gleichzeitig müssen aber überörtliche Entscheidungen erfolgen, für die es eine starke Regionalplanung braucht und natürlich einen entsprechenden Konsens. Dazu kommt, dass man sich in der Raumplanung länger gewisse Entwicklungen gewünscht hat, gänzlich andere aber unterstützt und gefördert wurden. Statt kompakter Siedlungen wurde immer wieder die grüne Wiese gefördert. Hier war man in der Vergangenheit nicht sehr konsistent mit Entscheidungen. Vieles hat sich zwar mittlerweile verbessert und die Dinge bewegen sich - allerdings nicht so ambitioniert wie das nötig wäre.

Zur Person

Gernot Stöglehner ist Professor für Raumforschung und Raumplanung an der Universität für Bodenkultur Wien und Leiter des Instituts für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung. Seine Forschungsschwerpunkte bilden u. a. die raumplanerische Auseinandersetzung mit der Energiewende und dem Klimaschutz sowie die Bereiche strategische Planung und Resilienz . Stöglehner hat zahlreiche Publikationen zum Thema verfasst.