SN.AT / Leben / Wohnen

Einzigartiger Blick zum Dachstein

Das Wohnhaus von Familie Herzgsell in Radstadt macht eine Betonklammer zur Loge. Beim "Häuser"-Award für Architektur und Design wurden zwei Projekte von LP architektur ausgezeichnet.

Holz und Stampfbeton sind althergebrachte Baustoffe.
Holz und Stampfbeton sind althergebrachte Baustoffe.
Holz und Stampfbeton sind althergebrachte Baustoffe.
Holz und Stampfbeton sind althergebrachte Baustoffe.

Schlagartig bekannt wurde Tom Lechner 2006 durch sein Österreich-Haus für die Olympischen Winterspiele in Sestriere. Seither lässt das Büro des heute 53-jährigen Architekten immer wieder mit Preisen bei Architekturwettbewerben aufhorchen. In Hallein wurde erst im vergangenen Herbst die von LP architektur entworfene Bezirksbauernkammer eröffnet. In Salzburg wird zurzeit drei Gehminuten vom Salzburger Hauptbahnhof das Hotel zum Hirschen nach Lechners Plänen umgebaut und um einen großen Holzhybridbau mit Wohnungen erweitert. In diesem Frühling gab es einen Anerkennungspreis der bekannten deutschen Architekturzeitschrift "Häuser" für ein 2020 realisiertes Projekt: das Privathaus der Familie Herzgsell in Radstadt.

Idyllisches Bergrefugium

Das Grundstück liegt auf der "Bachseitn", zwischen Radstadt und Forstau. Die Straße schlängelt sich den Berg hinauf bis zu einer Hügelkuppe auf rund 1200 Metern. Oben stehen ein Bauernhof und ein Berggasthof - und abseits davon an der steilen Kante das neue Zuhause von Familie Herzgsell. Das von LP architektur für diesen Platz konzipierte Haus fügt sich unaufgeregt in die Landschaft ein und wirkt fast, als sei es dort schon immer gestanden.

Architekten lassen sich vom Salzburger Einhof inspirieren

Aufgrund der Gehöftsituation vor Ort nahmen sich die Architekten den Salzburger Einhof als Vorbild. Eine Art Brückentenne, ein großes "Scheunentor" zur Garage, ein Ziegelgitter sowie ein einfacher Balkon erinnern an ein landwirtschaftliches Nutzobjekt. Warum ein Einhof für ein Einfamilienhaus? Tom Lechner: "Weil der Einhof eine äußerst intelligente Bauform ist, die unterschiedliche Funktionen unter einem Dach organisiert. Im Prinzip haben sich die Anforderungen auch heute nicht verändert. Nur haben wir statt Vieh heute Autos."

Holz und Beton in einem schlichten Baukörper

Der schlichte Baukörper mit leicht geneigtem Satteldach ist in beiden Etagen durch offene Quergänge in Wohn- und Wirtschaftsgebäude unterteilt. Getrennt ist auch die südseitige äußere Betonhülle des Hauses vom eigentlichen Wohngebäude, das als kompletter Holzbau errichtet wurde. Die vorgezogene Wand aus Stampfbeton schützt die hangseitigen Teile des Untergeschoßes und schirmt außerdem das Obergeschoß von Hitze und Einsehbarkeit ab, erklärt Tom Lechner: "Es war die Grundidee, den Hang durch eine Betonklammer abzuhalten und dann einen Holzkubus mit der nötigen Distanz hineinzusetzen.

Holz und Stampfbeton sind althergebrachte Baustoffe.
Holz und Stampfbeton sind althergebrachte Baustoffe.

"

Wohnen und Träumen im umgedrehten Haus am Hang

Als Besucher betritt man das Haus auf dem hangseitig ebenerdigen ersten Stock. Die Anordnung der Wohnräume wurde entsprechend umgedreht: Oben wird gewohnt, unten geschlafen. In der Küche und am Esstisch rückt durch drei großflächige Fenster und eine Loggia ein großartiges Panorama ins Blickfeld: vom Tennen- und Hagengebirge im Westen bis zum Dachstein im Osten. "Dass wir vor acht Jahren diesen Flecken Erde gekauft haben, liegt nicht am Grundstück, sondern an dem, was man rundherum sieht", erzählt Hans Herzgsell. "Manchmal können wir nur sitzen und schauen. Das ist auch nach zwei Jahren noch so." Für Elisabeth Herzgsell ist das neue Zuhause Glücksfall und Privileg zugleich. Einer ihrer Lieblingsplätze am Morgen ist die kleine ostseitige Loggia, mit den Dachsteinwänden und ihren wechselnden Licht- und Farbspielen als Gegenüber.

Faszinierendes Lichtspiel und inspirierende Räume

Von Süden dringt Sonnenlicht nur durch das Natursteingitter in der Betonfassade und die dahinterliegenden Fenster in den großen Wohn- und Küchenbereich. Das sorgt für reizvolle Reflexe und eine fast sakrale Stimmung um den offenen Kamin und die Sitzecke. Ganz ähnliche Effekte erzielt die auf der Nordseite dem Wirtschaftstrakt vorgesetzte Stampfbetonwand mit quadratisch ausgeschnittenen Lichtöffnungen im Untergeschoß. Im dahinterliegenden, ursprünglich als Hühnerstall geplanten Atelierraum mit seinen ganzseitigen Fenstern herrscht dadurch gleichmäßig gedämpftes Licht. Ein Ort des Rückzugs und der gewollten Abgeschiedenheit, für Kunst- und Weingenuss, eine Billardpartie oder ein paar Kilometer am Ergometer. Davor laden eine Steinterrasse und eine darüberliegende Veranda ins Freie.

Holz und Stampfbeton sind althergebrachte Baustoffe.
Holz und Stampfbeton sind althergebrachte Baustoffe.


Altes Handwerk, neu beseelt

Stampfbeton zählt zu den ältesten Betonarten und wurde bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts für Fundamente verwendet. Im Unterschied zum heute üblichen, glatten Rüttelbeton reizte Tom Lechner die sedimentartige Oberfläche, die durch unterschiedlich grobe Schichten entsteht. Altes Handwerk ist ihm überhaupt ein Anliegen. Das zeigen auch die Decken und Wände sowie Möbeleinbauten aus teilweise sägerauer Fichte: "Wir versuchen, alte Bautraditionen wiederzubeleben, was gar nicht so einfach ist, weil heute alles industrialisiert ist." Steinmetz Hans Herzgsell brachte einen weiteren natürlichen Baustoff ein: Luserna-Gneis. In rauer, naturbelassener Form am Boden, gebürstet an den Wänden, für Arbeitsplatten und im Bad. Die Nuancen von Hellgrau über Grünlich, Bräunlich bis Dunkelgrau ergeben vor allem am Boden ein lebendig-warmes Farbspiel. Tom Lechner: "Dieses Gebäude lebt zu 90 Prozent von der Materialität und dem Detail. Man könnte das gleiche Haus mit einem Vollwärmeschutz und Kunststofffenstern bauen und es wäre ganz banal. Aber es ist immer ein Grundprinzip unserer Architektur, dass alles möglichst einfach sein soll und trotzdem nicht alltäglich."

Architektonische Wurzeln bewahren

Das Büro von Tom Lechner beschäftigt sich seit jeher mit alten alpinen Bauformen. Warum die Hinwendung zu den alten Vorbildern? Das hat sich mit der beständig wachsenden Verantwortung für Architekten ergeben: "Mit der Globalisierung geht auch das Bauen in eine Richtung, die Landschaften massiv verändert und Ortschaften ihrer Identität beraubt. Da verändert sich derzeit einiges ins Negative. Beim Bauen hat vor allem am Land der Zeitgeist wenig verloren, denn der ist irgendwann auch wieder out."

KOMMENTARE (0)