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Führen: Mit Gefühl, bitte!

Im Business sind wir rational und sachlich. Doch wer Emotionen lesen kann, hat in der Führung die Nase vorn. Und das kann man lernen.

Ob Stress, Angst oder Glück – wer gut greifen kann, was in einem selbst vorgeht, kann besser darauf reagieren.
Ob Stress, Angst oder Glück – wer gut greifen kann, was in einem selbst vorgeht, kann besser darauf reagieren.

Stellen Sie sich vor, Sie übersiedeln. Für den Tag des Umzugs haben Sie Freunde und Bekannte zusammengetrommelt. "Der größte Fehler wäre", so Coach und Unternehmensberater Martin Seibt, "wenn wir selbst die Umzugskisten schleppen würden. Dann gäbe es niemanden, der in der Mitte stünde und die vielen helfenden Hände koordinierte." Ähnlich sei die Situation in Unternehmen, wenn Fachkräfte zu Führungskräften befördert werden. Sie packen mit besten Absichten weiterhin tatkräftig mit an. Missverständnisse entstehen, leere Kilometer frustrieren die Kollegen und das Ergebnis ist am Ende bescheiden, kurzum: Das Team verliert an Kraft.

Fachwissen bei Führungskräften ist längst nicht alles

Die meisten Führungskräfte werden wegen ihres Fachwissens befördert, beobachtet Seibt, und nicht unbedingt wegen ihrer Führungskompetenz. Damit Fachexperten zu guten Führungskräften werden, brauche es aber die Fähigkeit, eigene Gefühle und die der anderen wahrzunehmen, um dann einfühlsam damit umzugehen. Diese emotionale Intelligenz könne man aber nicht voraussetzen. Was man aber sehr wohl kann, ist zu lernen, wie man emotional intelligent führt. Seibt gründete deshalb gemeinsam mit Chris Holzer das Institut für emotional intelligente Unternehmensführung in Salzburg (kurz: EI-Institut). Mithilfe von 101 Fragen finden Seibt und Holzer heraus, wie es um die emotionale Intelligenz in der Unternehmensführung bestellt ist.

""Emotionale Intelligenz ist ein individuelles Persönlichkeitsmerkmal und die eigene Persönlichkeit verändert man nicht so leicht. Wie man aber emotional intelligent führt, das kann man trainieren, denn das ist ein Verhalten. Was es dazu braucht, ist eine gewisse Nachhaltigkeit: Es ist wie beim Klavierspielen, man muss ständig üben. Ein Wochenendseminar bewirkt nicht viel. Echte Verhaltensänderung entsteht nur durch Wiederholung und kontinuierliche Begleitung im Prozess.""
Chris Holzer
Mitgründer EI-Institut

Mit maßgeschneiderten Trainings zur erfolgreichen Führungskraft

Mit zugeschnittenen Trainings und Seminaren schärfen Seibt und Holzer die individuelle Wahrnehmung. Um beim Bild mit dem Umzug zu bleiben: Die neue Führungskraft kommt erst dann richtig in ihrer neuen Rolle an, wenn sie erkennt, dass das Koordinieren eines Teams durchaus eine zentrale Aufgabe ist. "Dahinter steckt oft die Angst, nicht genug zum Erfolg beizutragen, nur herumzustehen, während die anderen sich abmühen." Seibt bietet dann die Möglichkeit zur Reflexion: Warum fühle ich mich nicht wohl? Wie werde ich in der neuen Situation wirksam? Erst im nächsten Schritt kann man sich anderen sinnvoll zuwenden: Wie begegne ich meinen Kollegen und Kolleginnen wertschätzend? "Dazu gehört zum Beispiel, aktiv zuzuhören, Ideen der anderen aufzugreifen, ohne aber selbst den berühmten Umzugskarton von einem Zimmer ins nächste zu tragen. Und das ist wichtig: Es geht nicht mehr darum, die Aufgaben selbst zu erledigen, sondern darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit das Team seine Arbeit bestmöglich tun kann. Gute Führung braucht Fingerspitzengefühl", weiß Seibt.

Uni Emotion: App zur Sichtbarmachung und Steuerung von Emotionen

Eine gänzlich andere Art, um das Innere im außen greifbar zu machen, verfolgen Tine Bieber, Elaine Favero und Janara Lopes. Das Trio entwickelte die App Uni Emotion. Sie gibt Emotionen Sichtbarkeit. "Die steigende Anzahl von Burn-outs und Depressionen hat uns nachdenklich gemacht. Unterdrückte Gefühle spielen dabei eine große Rolle", so Tine Bieber. "Wir haben die App entwickelt, um Menschen wieder mehr Bewusstsein über ihre Gefühle zu geben. Sie hilft beim Einordnen: Was empfinde ich da gerade wirklich? Und wie wurde das Gefühl ausgelöst?" Die App erteilt dann Tipps, wie etwa Wut ausbalanciert oder sogar transformiert werden kann. Sie wirkt also wie ein Spiegel, der hilft, die eigene Wahrnehmung zu stärken und Emotionen zu benennen. Würden ganze Teams, Abteilungen oder Unternehmen die Software verwenden, dann wäre das so etwas wie ein anonymes Stimmungsbarometer, das besonders für Führungskräfte hilfreich sein kann. Sie bekämen die Chance, rechtzeitig zu reagieren, bevor eine Emotion im Team kippt, zum Beispiel weil Neid hochkocht.

Erfolgreiche Tests in Brasilien

In Brasilien wurde Uni Emotion bereits in verschiedenen Organisationen mit bis zu 20 Mitarbeitenden erfolgreich getestet. Das Potenzial ist für die drei Unternehmerinnen damit aber noch lange nicht ausgeschöpft. Aktuell arbeiten sie mit dem bekannten Talk-Format TEDx in der niederländischen Stadt Breda an einem Testlauf während eines TEDx-Events: "Wir wollen herausfinden, welche Gefühle nach einem Vortrag im Publikum vorherrschen, diese dann auf einem Bildschirm zusammenfassen und schauen, wie wir die vorhandene Kraft in eine gemeinsame Aktion verwandeln können. Wir denken, dass davon nicht nur Events, sondern auch Gemeinden, Städte oder sogar Krisengebiete profitieren könnten."

Was emotionale Intelligenz bringt

Ob Stress, Angst oder Glück - wer gut greifen kann, was in einem selbst vorgeht, kann besser darauf reagieren und geht auch wesentlich leichter mit anderen in Resonanz. Führungskräfte mit der Fähigkeit, emotional intelligent zu führen, sind in der Lage, ihr Team besser zu motivieren, sie genießen mehr Vertrauen und bauen beständigere Bindung auf. Die Zusammenarbeit verbessert sich, es entsteht eine Atmosphäre, in der gerne miteinander gearbeitet wird. "Je mehr wir in unserem Arbeitsalltag automatisieren, desto wichtiger wird das Zwischenmenschliche. Es ist heute ein Schlüssel für unternehmerischen Erfolg", ist Seibt überzeugt. "Führung braucht die Fähigkeit, einen Rahmen zu spannen, bei dem sich Menschen gut aufgehoben fühlen. Erst dann kann ich als Mitarbeiter das Gefühl entwickeln, beim richtigen Arbeitgeber zu sein." Das Gefühl, beim richtigen Arbeitgeber zu sein - darum geht es beim diesjährigen Work-Vision-Bar-Camp, das Seibt und Holzer am 9. und 10. November 2023 in Salzburg organisieren.

Branchenübergreifendes Wissensaustausch-Event

In zwei Tagen bringen sie Vordenker aus verschiedensten Branchen und Unternehmen zusammen, die dann in bekannter Bar-Camp-Manier ihr Wissen teilen und voneinander lernen. Zum Beispiel wird Hotelier Andreas Gfrerer von der Blauen Gans aus dem Nähkästchen plaudern und erzählen, wie er es schafft, dass seine Mitarbeiter mit Gänsehautfeeling zur Arbeit gehen.