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Vom Traum, Berufstänzer zu werden

Wenn Tanzen das Leben bedeutet. Ricardo Freitas ist für seine Ausbildung am Tanzzentrum Sead von Portugal nach Salzburg gezogen.

Ricardo Freitas hat im Alter von acht Jahren mit dem Tanzen begonnen.
Ricardo Freitas hat im Alter von acht Jahren mit dem Tanzen begonnen.

Es war eine kleine Tanzschule, die das Leben der Kinder rund um die kleine portugiesische Gemeinde Alvados verändern sollte. In einer Gegend, in der das künstlerische und sportliche Freizeitangebot damals begrenzt war, öffnete sie und wirkte wie ein Magnet auf Kinder und Jugendliche. Hip-Hop, Akrobatik und Ballett waren plötzlich enorm angesagt. "Alle in meiner Klasse haben bei den Tanzkursen mitgemacht", erinnert sich Ricardo Freitas. Als damals Achtjähriger schnupperte der Portugiese in unterschiedlichste Tanzstile hinein - und verliebte sich unrettbar in diese Weise, sich körperlich auszudrücken. Während sich einige der Schulkolleginnen und -kollegen mit den Jahren zunehmend anderen Dingen widmeten, blieb Freitas dabei. "Es ist nicht nur das Tanzen selber, es ist auch die Gemeinschaft, die dadurch entsteht, die ich so liebe", erzählt er.

Große Entscheidung: Zahnmedizin oder Tanzen?

Als Freitas 17 ist, steht er vor einer großen Entscheidung: Soll er, wie ursprünglich geplant und wie auch schon sein Vater, Zahnarzt werden oder aber sich ganz dem Tanzen hingeben? Für den Jugendlichen, der jeden Tag Tanzstunden absolviert, ist klar: Dieses Pensum ließe sich mit einem Studium der Zahnmedizin nicht vereinbaren. "Ich habe Angst bekommen vor einem Leben, in dem ich nicht mehr tanzen kann", sagt Freitas, "also habe ich meinen Eltern gesagt: Ich muss Tänzer werden." Er zieht in den Süden Portugals in die Stadt Setúbal, um dort eine Schule zu besuchen, die neben einem der Matura ähnlichen Abschluss die Berufsausbildung im zeitgenössischen Tanz anbietet. Eine Lehrerin aus der ehemaligen Tanzschule, die Freitas noch heute am Herzen liegt, unterstützt ihn bei diesem Weg, ebenso seine Eltern. "Dafür bin ich ihnen bis heute über alles dankbar." Noch mehr als schon zuvor dreht sich alles im Leben des Portugiesen um das Tanzen, um körperlichen Ausdruck, um Akrobatik, um Bewegung. Er spürt, dass er auf dem richtigen Weg ist. "Es hat sich alles so natürlich angefühlt, als ob es genau so sein soll."

Studium am renommierten Tanzzentrum Sead in Salzburg

Ein paar Monate vor seinem Schulabschluss im Sommer 2022 erfährt Freitas vom Bewerbungsverfahren des Tanzzentrums Sead in Salzburg. Als er sich dafür anmeldet, ist es für den jungen Erwachsenen, als ob er nach den Sternen greifen würde. "Innerhalb der Tanzszene Europas ist das Sead berühmt, es gibt nur drei, vier Institute, die ebenso groß und renommiert sind." Nachdem er die erste Runde im Februar bewältigt hat, folgt die zweite und finale im Mai. Schon auf seiner Fahrt zurück nach Hause bekommt er das E-Mail: Er hat es geschafft, das Sead nimmt ihn als neuen Studierenden für das Wintersemester 2022/2023 auf. "Das war ein unglaubliches Gefühl."

Acht Stunden Tanzen täglich sind für Tanzstudenten Alltag

Knapp anderthalb Jahre später ist der mittlerweile 21-jährige Tänzer nach Salzburg gezogen und im dritten Semester des sogenannten Undergraduate Program des Sead. Mindestens sieben bis acht Stunden Tanzen sind für ihn normaler Alltag. Der Unterricht gestaltet sich dabei vielseitig. Von zeitgenössischem Tanz, Ballett und Hip-Hop über Yoga, Theater und Akrobatik bis hin zu Theorieeinheiten, beispielsweise zur Tanzgeschichte. Das Programm des Tanzzentrums selbst beginnt um 8.45 Uhr und endet um 18 oder 19 Uhr. Darüber hinaus gestalten die Studierenden eigene Projekte, sodass der Tag schlussendlich häufig erst um 21 oder 22 Uhr endet. Zusätzlich kellnert Freitas, um sich das Studium leisten zu können. Um dieses fordernde Pensum zu bewältigen, hat er sich mit der Zeit eine Reihe von Säulen erarbeitet, auf die er sich stützt. Eine davon ist sein Sozialleben, "Freunde sind sehr wichtig und sich Zeit für diese zu nehmen", eine andere seine Ernährung. "Ich versuche, möglichst viel Unverarbeitetes zu essen. Außerdem mache ich Intervallfasten. "

Tänzer sind körperlich und mental gefordert wie Profisportler

Auch körperliche Beschwerden und Schmerzen gehören angesichts der körperlichen Strapazen zum Alltag eines Tänzers. Hier kommt Freitas auf einen großen Nachteil des Tanzberufs zu sprechen. "In anderen Bereichen des Profisports, beispielsweise im Fußball, stehen den Athletinnen und Athleten Experten in vielen Bereichen unterstützend zur Verfügung, beispielsweise in puncto Physiotherapie und Ernährung", erklärt er. "Tanzen hingegen wird als Kunst betrachtet, was ich zwar persönlich befürworte, aber in weiterer Folge dazu führt, dass ebendiese Leistungen nicht dazugehören. Und das, obwohl wir körperlich und mental im gleichen Maße wie Profisportlerinnen und -sportler gefordert sind."

Der Traum, vom Tanzen leben zu können

Die Welt zu entdecken und inspirierende Menschen kennenzulernen sei einer der größten Vorteile daran, Tänzer zu sein. "Erst diesen Sommer war ich mit einer Kollegin in Japan. Sie stammt von dort und hat uns zwei Auftritte organisiert", berichtet Freitas. Es sei wie eine eigene Welt, in die man als Tänzer eintauche, voll von Menschen, die die Begeisterung für eine Sache eint. Selbst organisierte Auftritte wie jene in Japan seien nicht selten mit finanziellen Risiken für die Tänzer verbunden. "Man zahlt die Miete für die Räumlichkeit und weiß vorher nicht, ob ausreichend Zuschauer kommen, um sie zu decken, oder ob man darauf sitzen bleibt."

Freitas arbeitet weiter an seinem Traum, vom Tanzen leben zu können. Vor seinem inneren Auge sieht er noch immer den tanzenden Buben von damals. "Wenn ich tanze, spüre ich Neugierde, Freude, Neues zu entdecken. Ich habe sehr viel Glück, das leben zu dürfen."