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Zöliakie: Wenn der Weizen krank macht

Darmbeschwerden sind nur eine der mannigfaltigen Folgen der Gluten- unverträglichkeit. Wie es zur Erkrankung kommt und was man tun kann.

Menschen mit Zöliakie können Weizen und weitere glutenhaltige Getreidesorten nicht richtig verdauen. In Folge kann es zu Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder vielfältigen weiteren Symptomen kommen.
Menschen mit Zöliakie können Weizen und weitere glutenhaltige Getreidesorten nicht richtig verdauen. In Folge kann es zu Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder vielfältigen weiteren Symptomen kommen.

Bauchschmerzen mit Durchfall oder Verstopfung. Juckende Hautstellen. Eisenmangel und Blutarmut. Kopfschmerzen und Müdigkeit. Vermindertes Wachstum bei Kleinkindern. Ein unerfüllter Kinderwunsch. All das sind mögliche Symptome der Glutenunverträglichkeit Zöliakie. "Die Zöliakie ist ein wahres Chamäleon", sagt Lili Kazemi-Shirazi, Fachärztin für Innere Medizin an der Medizinischen Universität Wien, "die gesundheitlichen Auswirkungen sind so vielfältig und individuell unterschiedlich, dass es schwer ist, sie alle auf einer Liste aufzureihen."

Tatsächlich handelt es sich bei der Zöliakie um eine Autoimmunerkrankung. Gluten, das sogenannte Klebereiweiß im Weizen, sowie ähnliche Eiweißkörper in Roggen und Gerste werden bei Betroffenen unzureichend verdaut, gelangen in den Dünndarm und bewirken dort die Aktivierung von Immunzellen. In der Folge bilden sich Antikörper, gleichzeitig werden Botenstoffe freigesetzt, die dann zu Entzündungsreaktionen in der Darmschleimhaut führen. Nach und nach bilden sich die Dünndarmzotten zurück, die eine wichtige Rolle in der Aufnahme von Nährstoffen spielen. "Diese Schädigung der Dünndarmschleimhaut ist das Hauptkennzeichen der Zöliakie", sagt Kazemi-Shirazi.

Glutenunverträglichkeit: Genetische Veranlagung spielt große Rolle

Warum Menschen die Erkrankung entwickeln, sei ungeklärt, sagt die Ärztin, die genetische Veranlagung spiele in jedem Fall eine Rolle. "Wenn die Eltern, Geschwister oder Kinder Zöliakie haben, hat man ein zehn bis fünfzehn Prozent gesteigertes Risiko, selbst zu erkranken. Das kann das ganze Leben lang passieren." Auch gebe es Hinweise darauf, dass eine frühkindliche Infektion mit Viren, zum Beispiel dem Rotavirus, zur Glutenunverträglichkeit führen könne. Jedenfalls keine Rolle spiele es, zu welchem Zeitpunkt glutenhaltige Produkte in den Speiseplan von Babys und Kleinkindern integriert werden, auch sei sie nicht die Folge einer Impfung.

"Die Zöliakie ist komplex und bleibt oft lange unerkannt."
Lili Kazemi-Shirazi
Fachärztin für innere Medizin

Diagnose Zöliakie: Über Blut- und Dünndarmspiegelung

Eben weil die Symptome der Zöliakie so weitreichend seien, bleibe sie häufig über einen langen Zeitraum unentdeckt. "Viele denken, dass sich bei einer Zöliakie zwangsläufig Bauchschmerzen ergeben. Das ist aber häufig nicht der Fall, sondern es kann zu vielen anderen Symptomen kommen", erklärt Kazemi-Shirazi. Eine Zöliakie werde häufig nicht als mögliche Ursache für gesundheitliche Probleme in Betracht gezogen. Über eine Blutprobe werden die zöliakiespezifischen Antikörper bestimmt, eine Entnahme einer Probe der Darmschleimhaut bei einer Spiegelung des Dünndarms gebe schließlich Gewissheit. Damit die Laborwerte eine klare Antwort geben könnten, sei es wichtig, dass bei einem Verdacht nicht im Vorfeld bereits auf glutenhaltige Lebensmittel in der Nahrung verzichtet werde, "das verfälscht das Ergebnis und wir wissen nicht, woran wir sind". Bei Kindern sei es unter bestimmten Voraussetzungen auch möglich, die Diagnose allein anhand der zöliakiespezifischen Antikörper im Blut zu stellen.

Handelt es sich tatsächlich um eine Zöliakie, ist die Konsequenz klar: Ein lebenslanger Verzicht auf alle glutenhaltigen Produkte ist notwendig, damit die Symptome gelindert werden und schließlich nach einem Zeitraum von Wochen bis Monaten ganz verschwinden. Zusätzlich seien Medikamente zur Therapie der Zöliakie in Entwicklung, führt Kazemi-Shirazi an, "an der Behandlung von Zöliakie wird viel geforscht".

1% bis 2% der Weltbevölkerung leidet an Glutenunverträglichkeit

Die Zöliakie ist weit verbreitet: Laut ausführlichen Studien vertragen ein bis zwei Prozent der Weltbevölkerung kein Gluten, dabei deutlich mehr Frauen als Männer. Österreich entspricht dabei diesem Weltdurchschnitt. "Wir gehen sogar davon aus, dass es sich nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Es gibt wahrscheinlich auch eine große Anzahl von Betroffenen, die keine oder noch keine Symptome haben", sagt Kazemi-Shirazi. Ein Land weist interessanterweise einen im Vergleich sehr niedrigen Wert auf: In Japan sind nur 0,05 Prozent der Menschen an Zöliakie erkrankt. "Möglicherweise, weil Weizen und glutenhaltige Produkte dort weniger Teil der landesüblichen Ernährung sind."

Denn tatsächlich sei es möglich, dass ein Mehr an Gluten im täglichen Speiseplan auch zu einem Mehr an Zöliakie in der Bevölkerung führe. Allerdings warnt die Ärztin davor, glutenhaltige Produkte zu verteufeln, die im Falle der guten Verträglichkeit ruhig Teil einer ausgewogenen Ernährung sein dürfen. "Wir verzeichnen einen Anstieg an Zöliakie-Betroffenen. Das hängt aber auch mit dem erhöhten Bewusstsein zusammen, es lassen sich mehr Menschen testen. Auch werden unsere Labortests immer besser, mit denen wir die Erkrankung diagnostizieren."

"Trotzdem auswärts essen gehen, sich nicht isolieren"

Der psychische Leidensdruck und die Angst davor, bei aller Vorsicht doch irgendwo etwas Glutenhaltiges aufzuschnappen, seien bei manchen Betroffenen enorm, berichtet Kazemi-Shirazi, "manche gehen gar nicht mehr aus dem Haus. Ich empfehle meinen Patientinnen und Patienten, sich auf keinen Fall zu Hause zu isolieren, sondern trotzdem mit Freunden und Kollegen essen zu gehen. Solange die oder der Betroffene selbst nichts Glutenhaltiges bestellt, kann nichts Schlimmes passieren." Viele Tipps, die in manchen Internetforen gegeben werden, seien völlig überzogen und Panik schürend. "Es ist zum Beispiel nicht nötig, neue Küchengeräte zu kaufen, wenn eine Zöliakie diagnostiziert wurde. Sie gründlich auswaschen reicht vollkommen." Generell empfiehlt die Ärztin Betroffenen, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen und sich ausschließlich bei seriösen Quellen über ihre Erkrankung zu informieren. "Dazu zählt unter anderem die Österreichische Arbeitsgemeinschaft Zöliakie."


Mehr dazu:www.zoeliakie.or.at