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Die Arbeitswelt ist wie das Leben - vielfältig und bunt

Wer nur danach strebt, sich von der Mühsal der Arbeit zu befreien, beraubt sich auch der Chancen, sein Leben zu bereichern - in jeder Hinsicht des Wortes.

Richard Wiens

In der "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral" beschreibt Heinrich Böll die Begegnung zwischen einem Touristen und einem Fischer. Ort der Handlung ist eine Küste im Westen Europas. Der Fischer liegt im Hafen in der Sonne. Der Tourist fragt ihn, ob er das gute Wetter nicht nützen wolle, um aufs Meer hinauszufahren und einen guten Fang zu machen. Der Fischer antwortet, er sei heute schon draußen gewesen und habe so viel gefangen, dass es bis übermorgen reiche. Daraufhin will der Tourist ihn überzeugen, wie sehr es sich auszahlen würde, öfter hinauszufahren und mehr zu fangen. Die Geschichte endet damit, dass der Tourist dem Fischer erklärt, dieser könnte, nachdem er sein Geschäft ausgeweitet und mehrere Fischkutter angeschafft habe, beruhigt im Hafen sitzen, in der Sonne dösen und auf das Meer blicken. Worauf der Fischer zur Antwort gibt: "Aber das tu ich ja schon jetzt."

Bölls Text erschien vor genau sechzig Jahren, aber er passt bestens in die heutige Zeit und liest sich wie eine Parabel auf die moderne Arbeitswelt. Viele Arbeitgeber denken so wie der Tourist. Sie streben nach mehr, treffen jedoch immer öfter auf Beschäftigte, die wie der Fischer der Devise "Weniger ist mehr" folgen. Nun hat sich der Blick auf die Arbeit im Lauf der Geschichte immer wieder verändert, aber aktuell gerät besonders viel in Bewegung.

Die Erwerbsarbeit wird im Hinblick auf ihre Sinnstiftung stärker hinterfragt - in persönlicher wie gesellschaftlicher Hinsicht. In einer "Spiegel"-Titelgeschichte Ende Mai wird ein 23-Jähriger zitiert, der seit zwei Jahren beim Beratungsunternehmen McKinsey arbeitet, aber gerade eine kurze Auszeit nimmt: "Für die Generation meiner Eltern war ihr Job ihr Leben. Wir haben jetzt das Privileg, dass wir mehr sein können als unsere Arbeit." Mag sein, dass sich Ältere stärker über ihren Beruf definierten und es noch tun. Aber dass sie nicht mehr waren als ihre Arbeit, trifft sicher nicht zu. Es ist aber ein Privileg der Jugend, sich zu irren.

Dass sich derzeit viel in der Arbeitswelt tut, hat mehrere Ursachen, eine ist die Demografie. Es kommen weniger junge Menschen nach, die bei Arbeitgebern begehrt sind, weil Personal fehlt. Wenn das Angebot knapp ist, steigt der Preis. Der besteht nicht zwingend in hohen Gehaltsforderungen, die gibt es auch. Aber vor allem stellen Junge Bedingungen, wie viel und unter welchen Umständen sie arbeiten wollen.

Dass sie das können, hat auch damit zu tun, dass es mehr Menschen gibt, die es sich leisten können, auf Einkommen durch Erwerbsarbeit zu verzichten, oft ein Resultat des wirtschaftlichen Aufstiegs der vorigen Generation. Aber nicht alle sind Erben. Dass viele Junge es ruhiger angehen wollen, hat auch mit Zukunftsängsten zu tun - tatsächlichen wie übertriebenen. Da ist der Kampf gegen den Klimawandel, bei dem das Spektrum von berechtigter Sorge über zu wenig Fortschritte bis zu kontraproduktiven Weltuntergangsszenarien reicht. Aber auch darum, dass Jungen eingebläut wird, sie sollten nicht mit einer Pension rechnen, von der sie im Alter leben könnten. Wenn solche No-Future-Botschaften lange genug sickern, darf man sich nicht wundern, wenn die Lust auf Arbeit schwindet, und Freizeit zum Nonplusultra hochstilisiert wird.

Aber die Jugend ist keine homogene Gruppe. Es gibt auch viele, die sehr viel arbeiten. Weil sie es gerne tun, nicht, weil sie müssen. Sie ziehen Befriedigung aus ihrer Tätigkeit, sie sind bereit, mehr zu leisten als andere, sie ernten die Früchte ihrer Ausbildung, verwandeln sie in die Chance auf ein höheres Einkommen. Aber wer durch Leistung auffällt, gilt heute als suspekt, als Saboteur der schönen Fantasie, dass genug Arbeit für alle da ist und man sie nur gleichmäßig auf alle verteilen müsse.

Wohlgemerkt reden wir bei all dem immer von den Industriestaaten. Tatsächlich gibt es Milliarden Menschen auf der Welt, die ganz andere Sorgen haben, als über ihre Work-Life-Balance zu räsonieren.

Aber auch in unseren Breiten birgt der Umbruch auf dem Arbeitsmarkt Sprengkraft. Man müsse aufpassen, sagt der Arbeitsmarktexperte und neue Leiter des Instituts für Höhere Studien, Holger Bonin, nicht ein neues Prekariat zu schaffen, indem eine große Gruppe der Beschäftigten von den Segnungen der neuen Arbeitswelt ausgeschlossen bleibt. Weil sie in Berufen tätig sind, in denen Homeoffice keine Option ist, oder sie, wie eine Pflegekraft, in der Vier-Tage-Woche nicht die gleiche Zahl von Personen betreuen können wie an fünf Tagen - in der Dienstleistung stößt der Produktivitätsfortschritt eben vielfach an Grenzen.

Hinzu kommt, dass selbst jene, die eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich fordern, sehen, dass sie volkswirtschaftlich einen Preis hat, und die Wirtschaftsleistung gering bis stark sinken würde. Zudem wird kürzer gearbeitet, ohne dass der Gesetzgeber aktiv werden muss. Laut Analyse der Bank Austria sank die jährliche Arbeitszeit pro Kopf in Europa seit 1995 um 90, in Österreich sogar um 180 Stunden, eine Folge des ausgeprägten Trends zur Teilzeit. Dagegen ist die Stundenzahl in den USA höher und nimmt seit 2010 zu. Damit steige das Risiko des Verlusts von Wohlstand oder geringerer Zuwächse, sagen Ökonomen.

Und längst nicht alles, was als neu gilt, ist es auch. Nehmen wir das Homeoffice. Da kehren Arbeitsweisen zurück, die vor der Industrialisierung die Regel waren - die eigene Wohnung war oft gleichzeitig der Arbeitsplatz. Dass das nicht nur Vorteile hat, erkennen Betriebe, die Beschäftigte mit mehr oder weniger sanftem Druck zurück ins Büro beordern. Auch Angestellte spüren, dass es im Homeoffice mit der Work-Life-Balance nicht immer so weit her ist. Und das eintritt, was Experten Work-Life-Blending nennen, das Vermischen von Berufs- und Privatleben. Das stört manche gar nicht, andere wieder wollen eine klare Trennlinie ziehen.

Die Arbeitswelt ist im Umbruch, aber das war sie immer. Arbeit verschwindet nicht, sie nimmt neue Formen an. Entscheidend ist, wie man auf Änderungen reagiert. Wer Arbeit nur als Mühsal versteht, wird sich mit dem Wandel schwertun. Wer sie dagegen als etwas sieht, aus dem man neben Geld persönliche Befriedigung und soziale Anerkennung ziehen kann, dem öffnet sich ein weites Feld an Chancen.


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